Im Glanz der roten Sonne Roman
stocknüchtern.
Doch vor Entsetzen konnte er sich nicht rühren.
20
A us seinem Liegestuhl blickte Jordan in den Regen, der in Strömen vom neuen Dach floss. In gut einer Stunde war die Nacht zu Ende, doch Jordan hatte kein Auge zugetan. Er dachte unentwegt über Eve und ihr Leben nach, in der Hoffnung, dadurch besser zu verstehen, warum sie ihn belogen hatte. Die einfachste Erklärung war die Feindschaft zwischen ihm und Max Courtland – doch auch Eves Beziehung zu ihrer Familie schien sehr vielschichtig zu sein.
Soweit Jordan wusste, hatte Eve kaum Kontakt mit Letitia und ihren Schwestern, und das Verhältnis zu ihrem Vater war geradezu feindselig. Jordan verstand trotzdem nicht, warum Eve sich entschlossen hatte, Max öffentlich zu brandmarken – und warum auf der anderen Seite Max seine Tochter in aller Öffentlichkeit so behandelte.
Er stimmte von ganzem Herzen mit dem überein, was Eve in ihrem Artikel schrieb, doch er wollte wissen, was sie so weit gebracht hatte. Sie glaubte an das, was sie schrieb, das wusste er, und sie lehnte aus tiefster Seele ab, wie ihr Vater die kanakas behandelte. Aber dass eine Tochter sich so offen gegen den eigenen Vater stellte, begriff Jordan nicht. Außerdem wunderte ihn, dass niemand aus ihrer Familie Eve je erwähnt hatte und dass sie von ihrer Tante und ihrem Onkel erzogen worden war – nach denen sie sich ja auch Kingsly nannte.
Es nieselte nur noch, als Jordan sich schließlich aus dem Liegestuhl erhob und hinaus auf die Felder blickte. In ein,zwei Wochen würden die Setzlinge schon einen halben Meter hoch stehen, um dann bei ausreichend Regen und Wärme bis auf fünf Meter Höhe emporzuschießen. In einem Jahr würde er seine erste Ernte einbringen.
Jordan wollte eben zum Liegestuhl zurück, als eine Bewegung im nahen Feld seine Aufmerksamkeit erregte. Irgendetwas kroch dort mühsam durch den Schlamm.
»Das muss ein Tier sein«, murmelte er. Als er genauer hinschaute, bewegte es sich wieder, langsam und qualvoll, als wäre es verletzt. Jordan zog die Stiefel an, nahm seine Öljacke und sein Gewehr und eilte hinaus in den Regen.
Den Blick fest auf die seltsame Erhebung gerichtet, stapfte Jordan über den schlammigen Boden darauf zu. Als er das Wesen fast erreicht hatte, stellte er fest, dass es größer war, als er gedacht hatte, doch noch immer konnte er nicht ausmachen, was es war, denn es war über und über mit Schlamm bedeckt.
Plötzlich stöhnte das eigentümliche Wesen laut, und Jordan zuckte vor Schreck zusammen. »Gütiger Gott!«, stieß er entsetzt hervor.
»Helfen Sie mir ...«
Die Stimme klang sehr schwach. Jordan konnte kaum glauben, dass es sich um einen Mann handelte. Er tastete auf dem Boden herum und bekam einen Arm zu fassen. Dann fuhr er mit der Hand über den Rücken des Mannes. Der stöhnte wieder auf, als würde er entsetzliche Schmerzen erleiden.
»Können Sie aufstehen, wenn ich Ihnen helfe?«, fragte Jordan.
»Ich werd’s versuchen.«
»Wer sind Sie?«
»Elias ...«
»Von der Willoughby-Plantage?«
»Ja, Master.«
Als Jordan versuchte, ihm hochzuhelfen, schrie Eliaswieder vor Schmerz auf. Jordan dachte an die Peitschenhiebe, die Max dem armen Kerl verabreicht hatte.
»Ich hole Hilfe!«, sagte er und überlegte, wo sie eine Trage herbekommen sollten.
Schließlich kam Jordan mit Saul, Noah und einer Leiter zurück, auf der ein Brett lag und die als behelfsmäßige Trage dienen würde. Sie trugen Elias zur Arbeiterbaracke, um dort seine Verletzungen zu untersuchen. Im Licht der Laterne entdeckten sie frische Schnitte und Schürfwunden in seinem Gesicht, und beide Unterarme waren stark geschwollen, vielleicht sogar gebrochen. Jordan nahm an, dass Elias beide Hände über den Kopf gehalten hatte, um sich vor Schlägen zu schützen. Zorn stieg in ihm auf.
»Wir werden dir im flachen Wasser am Flussufer erst einmal den Schlamm vom Körper waschen«, sagte er, als sie ihn behutsam hochhoben.
Eine halbe Stunde später trug Elias ein geborgtes Hemd, das ihm zu weit war, und eine Pluderhose der Zhang-Brüder. Jordan hatte Elias’ Unterarme verbunden. Zum Glück schienen sie doch nicht gebrochen zu sein. In der erleuchteten Arbeiterbaracke hatten die Männer entsetzt die tiefen Wunden auf Elias’ Rücken und die frischen Kratzer und Schürfwunden betrachtet.
Elias hatte Schwierigkeiten beim Atmen, was auf gebrochene Rippen hindeutete.
Wieder war er auf brutalste Weise zusammengeschlagen worden.
Die Männer legten ihn so bequem
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