Im Glanz der roten Sonne Roman
er heute Nachmittag nicht zum ersten Mal so grausam gewesen ist.«
Eve nahm Jordan das Taschentuch aus der Hand und putzte sich die Nase. »Was willst du damit sagen?«
Jordan holte tief Luft. Eigentlich hatte er nie über den Abend sprechen wollen, an dem sein Vater gestorben war, aber es würde Eve helfen zu verstehen, dass es in Max’ Natur lag, Menschen zu verletzen. »An dem Abend, an dem meinVater starb, kam Max zu uns ins Haus. Wie du dir sicher vorstellen kannst, war mein Vater in einer schrecklichen Verfassung – schließlich war meine Mutter gerade erst gestorben. Ich hatte ihn nie verzweifelt gesehen.« Jordan starrte auf den Fluss. Zehn Jahre waren seitdem vergangen, doch es verfolgte ihn noch immer, dass er seinen Vater nicht hatte trösten können. »Das hielt Max aber nicht davon ab, meinem Vater einige sehr schlimme Dinge zu sagen«, fuhr Jordan fort und wandte sich wieder Eve zu. »Was Max sagte, war so beleidigend, so abscheulich, dass es meinen Vater buchstäblich umgebracht hat.«
»Oh, Jordan, das habe ich nicht gewusst!« Eve war entsetzt.
»Der einzige Mensch, dem ich je davon erzählt habe, ist mein Onkel. Er weiß auch als Einziger, warum ich wirklich hierher zurückgekommen bin.«
Eve schaute in Jordans dunkle Augen, deren Blick jetzt voll Schmerz war. Sie beugte sich zu ihm vor, und er schloss die Arme um sie und ließ das Kinn auf ihrem Kopf ruhen. Lange Zeit sprach keiner von beiden. Über ihnen, in einem der Eukalyptusbäume, schrie eine Krähe, und der Fluss strömte friedlich vorüber. Am anderen Ufer erschienen zwei Emus, um zu trinken. Eve fühlte sich sicher und beschützt in Jordans starken Armen. Sie lauschte auf den regelmäßigen Schlag seines Herzens und fühlte seinen warmen Atem in ihrem Haar.
»Du bist zurückgekommen, um deine Eltern zu rächen, nicht wahr?«, flüsterte sie schließlich.
Er nickte. »Bevor ich fortging, habe ich an ihren Gräbern geschworen, Max Courtland für all den Schmerz bezahlen zu lassen, den er ihnen zugefügt hat. Aber die schrecklichen Dinge, die er über meine Mutter sagte, habe ich nie geglaubt.«
»Ich hoffe nur, dass er diesmal nicht gelogen hat«, meinte Eve, hob den Kopf und blickte Jordan ernst an. »Ich bete, dass Max nicht mein Vater ist. Wenn ich an meine dunklen Haare denke, an meine mandelförmigen Augen und die brauneHaut, könnte es gut möglich sein, dass er diesmal die Wahrheit gesagt hat und dass mein richtiger Vater von den Südseeinseln stammt. Es ist nur ... ein ziemlicher Schock für mich.«
Jordan pflichtete ihr bei, schwieg aber.
»Max hat ja selbst gesagt, dass er sich nicht vorstellen kann, mich gezeugt zu haben. Du weißt, was er damit gemeint hat, nicht wahr? Dass ich ein Krüppel bin ...«
Jordan hörte die Bitterkeit in ihrer Stimme. »Er hat meine Familie zerstört, Eve. Lass nicht zu, dass er dich auch noch zerstört!«
»Im Moment sind die Wunden noch zu frisch, Jordan. Aber es ist leichter für mich, meinen Vater nicht zu kennen, als mit Sicherheit zu wissen, dass es dieser grausame Mann ist!« Wieder begann Eves Unterlippe zu zittern, und sie sank schluchzend in Jordans Arme. So sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, die Tränen zurückzuhalten.
»Ich glaube nicht, Eve, dass deine Hüfte irgendetwas mit alldem zu tun hat. Denk doch nur an die Menschen, die von Geburt an schielen oder die abstehende Ohren haben oder vorstehende Zähne ...«
Trotz allen Schmerzes musste Eve lachen. »Hör auf«, sagte sie.
Jordan legte einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie auf diese Weise, ihn anzuschauen. »Dann gibt es noch Menschen, deren Augen so dunkel sind wie tiefe, unergründliche Seen ...«
»Nicht, Jordan. Ich weiß, dass du nur versuchst, mich aufzuheitern.«
»Niemand ist vollkommen, Eve, aber du bist schön ... nicht nur äußerlich, auch im Innern, und das ist sehr selten. Ich will nicht, dass du durchs Leben gehst, ohne es zu wissen. Als ich nach Eden zurückkam, war ich so von Hass und Rachewünschen erfüllt, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich habe Wochen gebraucht, bis ich all dieSchönheit um mich herum überhaupt wahrnehmen und genießen konnte.«
Dich eingeschlossen, fügte er in Gedanken hinzu. Was für eine Überraschung du bist, Eve Kingsly!
»Ich habe meine Kraft nicht zur Zerstörung genutzt, sondern für ein gutes Ziel – für den Wiederaufbau der Plantage. Jetzt sehe ich klarer, und das habe ich dir, Nebo und all den anderen zu verdanken. Ihr alle
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