Im Hauch des Abendwindes
geschafft, sie zu dem Pferd zu machen, das sie heute ist?«
Sie durchquerten das mittlerweile wieder ausgetrocknete Flussbett. Im Geröll suchte ein Schwarm weißer Kakadus nach Futter. Die Vögel waren ein wunderschöner Anblick. Mit leiser Wehmut dachte Ruby daran, dass sie die Natur und ihre Schönheiten vermissen würde, wenn sie nach Sydney zurückkehrte.
»Das war ein langer Prozess. Sie hatte zwar das eine oder andere gesundheitliche Problem, aber im Wesentlichen brauchte sie jemanden, der sie wirklich versteht.«
Ruby lachte. »Du redest wie von einer Frau!«
»Nun, sie ist ein weibliches Wesen, und wie alle weiblichen Wesen sehnte sie sich nach Zärtlichkeit und Verständnis. In den ersten paar Monaten habe ich nicht mit ihr gearbeitet, sondern nur so viel Zeit wie möglich mit ihr verbracht. Ich wollte wissen, was sie mag und was nicht. Ich fand heraus, dass sie Schmerzen am Hals hatte und dass das mit ihren Hufbeschlägen zusammenhing. Ich ließ einen Hufschmied kommen, der ihr spezielle Hufeisen anfertigte, und danach verschwanden ihre Schmerzen allmählich.«
»Wie bist du denn darauf gekommen?«, fragte Ruby verblüfft.
»Ich habe das Pferd aufmerksam beobachtet. Und ich habe eine Menge über diese Dinge gelesen. Manchmal lahmte sie, aber nicht immer. Ich hatte von einem Amerikaner namens Ashley Davis gehört, der sich mit dem Beschlagen von Pferden und dem Zusammenhang zwischen Hufbeschlägen und verschiedenen Krankheiten am Bewegungsapparat beschäftigte. Sein Buch war mir eine große Hilfe. Als Silver Flake keine Schmerzen mehr hatte, konnte ich leichter mit ihr arbeiten. Und ich musste natürlich ihr Vertrauen gewinnen.«
»Man könnte fast meinen, du hättest eine sensible Ader, Jed Monroe«, bemerkte Ruby spöttisch.
»Was ist denn daran so ungewöhnlich?«
»Na ja, so wie du manchmal mit Menschen umgehst, kann man das nicht unbedingt erwarten.«
Jed grinste. »Vielleicht kommt meine sensible Ader nur im Umgang mit Silver Flake zum Vorschein.«
Ruby, die an Kadee dachte, fand das wirklich schade. »Und wie genau hast du es geschafft, so ein lammfrommes Pferd aus ihr zu machen?«
»Ich bin mit ihr rausgefahren, hab irgendwo gezeltet und morgens und abends lange Spaziergänge mit ihr unternommen.«
Ruby sah Jed stirnrunzelnd an. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Keineswegs. Ich habe sie auch ziemlich verwöhnt, mit Karotten, Äpfeln, Zuckerstückchen und mit Massagen. Das ging ungefähr zwei Monate lang so. Als ich das Gefühl hatte, dass sie Vertrauen zu mir gefasst hatte, legte ich ihr eine Satteldecke und den Sattel auf. Sie ließ es zu. Ich ging es ganz gemütlich an, mit Ausflügen über die Ebene oder am Fluss entlang. Die Stille und der Frieden schienen ihr gutzutun. Aber ich machte ihr von Anfang an klar, dass ich der Boss war. Beißen oder Treten gab es bei mir nicht. Benahm sie sich anständig, wurde sie mit einer Leckerei belohnt. Das war neu für sie. Als ich sie schließlich auf die Rennbahn führte, ging sie mit Freuden an die Arbeit. In gewisser Weise war es, als würde sie noch einmal zugeritten.«
»So eine einfache Methode, und dabei so wirkungsvoll«, meinte Ruby bewundernd.
Jed schüttelte den Kopf. »Einfach war es nicht. Es hätte genauso gut schiefgehen können. Den meisten Trainern wäre das alles viel zu aufwendig gewesen. Aber da sie mit ihren Methoden gescheitert waren, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen.«
»Und wann hast du ihr Potenzial erkannt?«
»Praktisch vom ersten Moment an, als wir auf der Bahn trainierten. Sie arbeitete gern, und die Zeiten, die ich stoppte, waren beeindruckend.«
Sie bogen in die Einfahrt zu Bernies Farm ein und fuhren zu den Stallungen. Ruby beschloss, den Augenblick zu nutzen und mit Jed, der sich gerade so einfühlsam zeigte, über Girra zu reden.
»Myra ist wütend, weil sich die Männer weigern, bei der Suche nach Girra zu helfen«, sagte sie, als sie ausstiegen. »Ist es ihnen egal, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte, weil sie eine Aborigine ist?«
»Ich würde nicht sagen, dass es ihnen egal ist«, entgegnete Jed. »Sie wollen bloß nicht in etwas hineingezogen werden, das sie nichts angeht.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, die Ureinwohner haben ihre eigenen Gesetze, und die Leute aus der Stadt mischen sich da lieber nicht ein. Aborigines sind unberechenbar. Wenn ihnen plötzlich danach ist, auf walkabout zu gehen, ziehen sie einfach los. Deshalb denken die Leute hier, es sei reine
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