Im Hauch des Abendwindes
und quietschten dabei vor Vergnügen. Ruby ging in die Hocke und klappte ihren Koffer auf. Ihre Sachen trieften vor Nässe und waren bis zur Unkenntlichkeit dreckverschmiert. Aber ihr Geldbeutel war noch da, das war die Hauptsache.
Sie zog vorsichtig eine aufgeweichte Zehn-Dollar-Note heraus und meinte: »Ich lade euch alle zu einem Eis ein.«
Girras Miene verdüsterte sich. »Ich werde Charlies Laden nicht betreten.«
»Hör mal, Girra«, sagte Ruby behutsam, »ich war heute Morgen bei ihm, und er war wie ausgewechselt. Er konnte sich überhaupt nicht an den Vorfall von gestern Abend erinnern.«
»Er lügt«, erwiderte Girra verdrossen. »Er kann sich ganz bestimmt erinnern.«
Ruby schüttelte den Kopf. »Den Eindruck hatte ich nicht. Aber das ist natürlich keine Entschuldigung für sein Benehmen.«
»Er ist ein schlechter Mensch.« Girra war gekränkt, weil Ruby Partei für Charlie ergriff.
»Als ich ihn zur Rede stellte, dachte er, wir hätten uns im Pub getroffen. Er entschuldigte sich sogar, und das klang wirklich aufrichtig. Du hast doch selbst gesagt, dass der Alkohol ihm den Verstand raubt. Stellt er dir nur nach, wenn er getrunken hat?«
Girra dachte kurz nach und nickte dann. »Tagsüber redet er nie mit mir. Aber ich bleibe dabei, er ist ein schlechter Mensch. Er will dafür sorgen, dass die Regierung Oola und Myall meiner Familie wegnimmt.«
»Ich glaube, er weiß nicht, was er tut oder sagt, wenn er getrunken hat. Man sollte mit ihm reden; er würde sicher mit dem Trinken aufhören, wenn er das wüsste.«
Girra schüttelte unmutig den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich muss jetzt gehen.« Sie befahl ihren Geschwistern, aus dem Wasser zu kommen, fasste sie an den Händen und eilte davon.
»Warte doch«, rief Ruby ihr unglücklich nach. »Danke, dass du mir meinen Koffer gebracht hast!«
Aber Girra reagierte nicht. Sie drehte sich nicht einmal mehr um.
Als Ruby zurückkam, fegte Mrs. Cratchley mit einem Strohbesen vor dem Haus. Sie fand, das war reine Zeitverschwendung, weil der Wind den Staub sofort wieder herwehte.
»Aha, du hast deinen Koffer gefunden, wie ich sehe«, bemerkte Myra Cratchley.
»Girra hat ihn entdeckt. Alle meine Sachen sind nass und völlig verschmutzt, deshalb wollte ich fragen, ob ich sie vielleicht waschen kann.«
Mrs. Cratchley erwiderte nichts darauf. Sie ließ ihren Besen fallen, wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn und ging um das Haus herum auf die Rückseite, wo sie einen großen Eimer vor Ruby hinstellte, ihr ein Stück Kernseife in die Hand drückte und auf den Schlauch zeigte.
»Haben Sie denn keine Waschmaschine, Mrs. Cratchley?«, fragte Ruby verdutzt.
»Einer allein braucht keine Waschmaschine. Ich hab die Wäsche für meine siebenköpfige Familie von Hand gewaschen, da ist es ja wohl kein Problem, nur meine eigenen Sachen von Hand zu waschen. Ich hol dir die Wäscheklammern.«
Mrs. Cratchley hatte rein gar nichts Heiteres oder Unbeschwertes an sich. Sie wirkte abgekämpft und verbraucht und schien nicht viel Zeit darauf zu verwenden, auf sich zu achten. Ruby war sich ziemlich sicher, dass ihr mürrisches Wesen auch mit ihren ungepflegten Haaren zu tun hatte. Sie wusste aus Erfahrung, dass Frauen sich viel besser fühlten, wenn sie sich um ihr Aussehen kümmerten. Eine Idee fuhr ihr durch den Kopf, aber zunächst musste sie ihre Kleidung waschen. Als sie sie zum Trocknen aufgehängt hatte, nahm sie ihre Frisierutensilien aus ihrem Köfferchen, ging zur Hintertür und klopfte.
»Was ist denn?«, brummelte Mrs. Cratchley, als sie durch den Flur geschlurft kam.
»Ich würde mich gern für alles, was Sie für mich getan haben, revanchieren, und ich hätte da auch schon eine Idee.«
Mrs. Cratchley sah die zuversichtlich lächelnde Ruby misstrauisch an. »So? Was denn für eine Idee?«
»Ich dachte, ich könnte Ihnen die Haare schneiden.«
Mrs. Cratchley riss verblüfft die Augen auf. »Was?«
»Ja, ich bin gelernte Friseurin. Ich arbeite schon seit einigen Jahren in dem Beruf, und ich habe gesehen, dass es hier in der Stadt keinen Frisiersalon gibt.«
»Du bist Friseurin? Wirklich? Wo arbeitest du denn?«
»Na ja, zurzeit bin ich arbeitslos.«
Mrs. Cratchley warf ihr einen sonderbaren Blick zu, und Ruby wusste, was sie dachte – dass sie in ihrem Beruf offenbar nicht viel tauge. »Meine Chefin hat mich gehen lassen, wie sie es nannte, weil der Vermieter die Ladenmiete erhöht hat und sie mir mein Gehalt nicht mehr
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