Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
zu einem der großartigsten Uhrmacher aller Zeiten. Seine fast zwei Meter hohe, wasserbetriebene »Elefantenuhr« gehört zu den technischen Wunderwerken des Mittelalters; sie ist ein Objekt von künstlerischer Schönheit wie auch von technischer Meisterschaft (siehe Farbtafeln 27 und 28). Er bediente sich darin der von Archimedes gefundenen Gesetzmäßigkeiten des Wassers in Verbindung mit indischen, wasserbetriebenen Zeitmessvorrichtungen: Die Uhr bestand aus einem hohlen Modell eines indischen Elefanten mit zwei arabischen Reitern, die auf einem persischen Teppich mit chinesischen Drachen und einem ägyptischen Phönix sitzen. Die Uhr ruht auf einem perforierten Schwimmer, der für alle Teile als Antrieb und Zeitmesser dient. Im Bauch des hohlen Elefanten befindet sich ein Wassertank, und in diesem schwimmt eine Schüssel mit einem kleinen Loch im Boden. Das Loch wurde so gebohrt, dass das Wasser mit genau geplanter Geschwindigkeit in die Schüssel dringt; diese füllt sich innerhalb einer halben Stunde und sinkt dann zu Boden. Eine kleine Kette, die sich nur aufwärts und abwärts biegen kann, hält die Schüssel in der Nähe einer Seite des Tanks fest, so dass sie sich nur senkrecht bewegt.
28.
Das Innenleben der Elefantenuhr.
Wenn die Schüssel sich füllt, sinkt sie in dem Tank allmählich zu Boden und zieht dabei an einem Draht, der mit einem Hebel oberhalb des Elefanten verbunden ist. Dieser sorgt dafür, dass der Schreiber langsam rotiert und so die Minuten anzeigt. Wenn die Schüssel gefüllt ist, sinkt sie schneller ab und löst dabei mehrere Mechanismen aus: Der Schwimmer drückt Luft durch eine Flöte in einem getrennten Hohlraum, so dass ein Ton entsteht und die Illusion vermittelt, der Phönix ganz oben auf der Uhr würde singen. Gleichzeitig zieht er an einem Korb auf der Oberseite der Uhr, der mehrere Metallkugeln enthält. Der Korb kippt und gibt einen Ball frei, der abwärts rollt – zuerst auf Rotorblätter, die den Phönix in Drehung versetzen, dann in das Maul eines Drachen, der daraufhin nach vorn kippt. Dabei hebt sich sein Schwanz und zieht den Schwimmer im Bauch des Elefanten wieder nach oben. Der Schwimmer steigt an die Oberfläche, kippt und entleert sich, womit der ganze halbstündige Vorgang von vorn beginnt. Gleichzeitig fällt die Kugel aus dem Maul des Drachen auf eine Platte, welche die Arme des Elefantentreibers bewegt, als würde er ein im Inneren des Elefanten verborgenes Schlaginstrument betätigen. Nachdem die Kugel aus dem Drachen freigegeben wurde, kippt dieser wieder zurück, so dass er eine Stunde später (da die beiden Drachen sich in ihrer Tätigkeit mit der Kugel abwechseln) eine weitere Kugel aufnehmen kann. Damit die Uhr ununterbrochen arbeitet, muss der Korb mit den Kugeln natürlich ständig nachgefüllt werden.
29.
Schematische Darstellung eines Systems, mit dem Wasser in ein Becken gepumpt werden kann. Aus dem Buch der Kenntnisse über erfindungsreiche mechanische Apparate von al-Jazari, 1206.
Würde man zur Messung der wissenschaftlichen Produktivität die Zahl der praktizierenden Wissenschaftler in Europa und im islamischen Großreich entlang einer Zeitachse von 1000 Jahren aufzeichnen, so würde man erkennen, dass die Kurve in der islamischen Welt ungefähr ab 700 u.Z. ansteigt. Am schnellsten ist der Anstieg zur Zeit von al-Ma’muns Haus der Weisheit, das heißt in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Der Höhepunkt ist um 1000 u.Z. erreicht, danach beginnt über 500 Jahre hinweg ein langer, langsamer Niedergang. In Europa dagegen gab es bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts keine nennenswerte wissenschaftliche Tätigkeit, dann aber erwachte sie plötzlich zum Leben. Ungefähr Mitte des 15. Jahrhunderts hatte Europa die islamische Welt überholt, und der Anstieg ging weiter – bis heute. Bevor ich mich also mit dem Niedergang der Wissenschaft in der islamischen Welt beschäftige, möchte ich kurz untersuchen, wie und warum sie in Europa einen so spektakulären Aufschwung nahm.
Die kulturelle Strömung der Renaissance erstreckte sich ungefähr vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. Sie begann in Florenz, verbreitete sich später auf das übrige Europa und umfasste Entwicklungen in allen Geistesrichtungen: Literatur, Philosophie, Politik, Wissenschaft und Religion. Ihre Anfänge sind vielleicht am besten bekannt durch die Leistungen von Männern wie Leonardo da Vinci und Michelangelo.
Im 19. Jahrhundert betonten Historiker gern, die Renaissance stelle einen
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