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Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)

Titel: Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim al-Khalili
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überhaupt nicht während dieser Zeit statt. Dieser revolutionäre neue Weg, etwas über die Welt in Erfahrung zu bringen, wie er sich in den Arbeiten von Kopernikus und Galilei verkörpert, die sich auf empirische Belege anstelle einer aristotelischen »letzten Ursache« konzentrierten, war, wie wir heute wissen, bereits im 10. und 11. Jahrhundert von al-Razi, Ibn al-Haytham und al-Biruni beschritten worden.
    In der europäischen Renaissance gab es zahlreiche Faktoren, die sich zweifellos auf das Tempo des wissenschaftlichen Fortschritts auswirkten, beispielsweise die Erfindung der Druckerpresse, die nun eine viel schnellere Übermittlung neuer Gedanken ermöglichte, wie es die Papiermühle bei den Abassiden getan hatte. Andere, spätere Erfindungen wie Teleskop und Mikroskop brachten Umwälzungen in Astronomie, Biologie und Medizin.
    Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert beobachten wir tatsächlich in der gesamten islamischen Welt einen deutlich rückläufigen Umfang der originellen wissenschaftlichen Produktion. Im Vergleich zum Europa der Renaissancezeit, das von Reichtümern aus der großen neuen Welt überschwemmt wurde, ein neugefundenes Selbstbewusstsein an den Tag legte und damit stark an al-Ma’muns Bagdad erinnerte, hatten die vielen Dynastien der islamischen Welt mit Zerstückelung und konservativ-religiösen Bestrebungen zu kämpfen, ja sogar mit Gleichgültigkeit gegenüber einer rein wissenschaftlichen Forschung, die nicht im Dienste von Religion, militärischer Stärke oder wirtschaftlichem Wohlergehen stand. Lange nachdem die Sonne über Bagdad untergegangen war, hatten neue Zentren wie das Kairo der Fatimiden, das Córdoba der Umayyaden und das Gurganj der Ma’muniden ihren Aufstieg und Untergang erlebt.
    Was war schiefgegangen? Wo lagen die Gründe dafür, dass wissenschaftlicher Fortschritt und Produktivität in der islamischen Welt langsam, aber sicher zurückgingen? Ich möchte mich zuerst mit den beiden am häufigsten genannten Gründen beschäftigen. Beide nennen für das Goldene Zeitalter der arabischen Wissenschaft einen relativ abrupten Endpunkt.
    In der westlichen Welt wurde vielfach die Ansicht vertreten, der Konflikt zwischen dem orthodoxen Islam und der rationalistischen Strömung der Mu’tazila, der seinen Höhepunkt letztlich in den Arbeiten des Theologen al-Ghazali (1058–1111) fand, sei im Mittleren Osten der Anfang vom Ende des wissenschaftlichen Zeitalters gewesen. Al-Ghazali kritisierte in seinem Werk Inkohärenz der Philosophen die Philosophie Ibn Sinas und anderer: Er warf ihnen vor, dass sie so von Aristoteles fasziniert waren und dessen Gedanken in ihre Philosophie eingebaut hatten. Damit ist al-Ghazali der Vertreter einer Hinwendung zu einer eher konservativen und sogar mystischen Interpretation der islamischen Theologie.
    Al-Ghazali ist bis heute einer der angesehensten Denker der islamischen Geschichte, und die Wirkung seiner Gedanken auf die orthodoxe Hauptrichtung des Islam kann man nicht hoch genug einschätzen. Er beeinflusste sogar noch 200 Jahre später Thomas von Aquin und andere Europäer. Aber die tiefverwurzelte, religiös-konservative Haltung der Denkschule, die sich rund um seine Arbeiten bildete, fügte dem Geist des Rationalismus bleibenden Schaden zu und kennzeichnete einen Wendepunkt in der islamischen Philosophie. Bis heute sind viele Muslime überzeugt, er habe eine Art intellektuelle Diskussion gewonnen, in deren Verlauf eine ganze Reihe großartiger Denker von al-Kindi über al-Farabi und Ibn Sina bis zu Ibn Rushd als Ketzer gebrandmarkt wurden. Damit werden die großartigen, reichhaltigen Gedanken, die diese Männer der Welt schenkten, schlechtgemacht und herabgewürdigt. Und das ist noch nicht alles: Eine solche Haltung ist auch ungerecht gegenüber al-Ghazali selbst, der ebenfalls ein eigenständiger, höchst begabter Wissenschaftler war.
    Warum wird er dennoch nach wie vor als eine der wichtigsten Ursachen für den Niedergang der rationalen wissenschaftlichen Forschung genannt? Al-Ghazali griff vor allem eine theologische und metaphysische Sichtweise an, die sich auf die platonische und aristotelische Logik stützte: Ein solches Zurückgreifen auf philosophische Gedanken der Griechen war nach seiner Ansicht islamfeindlich. Die ganze Diskussion wurde auf einen Konflikt zwischen irrationaler Religion und rationaler Wissenschaft reduziert, was sowohl naiv als auch töricht ist. Ein solcher rein philosophischer Streit hätte ohnehin andere Fachgebiete wie

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