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Im Haus meines Feindes

Im Haus meines Feindes

Titel: Im Haus meines Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brown Sandra
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und mit dem Boot vom Anleger abstieß. In einem Augenblick der Panik erkannte er, daß er nicht einmal wußte, ob das verdammte Ding schwimmfähig war. Er traute Basile die extreme Maßnahme zu, die manche europäischen Entdecker bei der Erforschung neuer Länder ergriffen hatten: Um zu verhindern, daß sich ihre abergläubischen und verängstigten Mannschaften davonmachten, hatten sie ihre eigenen Schiffe vernichtet.
    In diesen ersten angstvollen Minuten auf dem Wasser hatte er mindenstens ein dutzendmal mit dem Gedanken gespielt, wieder umzukehren. Letztlich fürchtete er Basile jedoch mehr als die Sümpfe. Gregory entschied sich für die unbekannten Schrecken, die ihm den Tod bringen konnten, und gegen Basile, der ganz sicher imstande war, ihn eiskalt umzulegen.
    Nach etwa einer halben Stunde gestattete er sich zu glauben, daß Basile keine Löcher ins Boot gestoßen hatte und er nicht in dem schlammigen Wasser würde versinken müssen. Das Boot hatte keinen Motor, deshalb benützte er das Stechpaddel, bis seine Schulter- und Rückenmuskeln brannten. Jedes unbekannte Geräusch ängstigte ihn. Jeder sich bewegende Schatten ließ sein Herz jagen. In seiner Verzweiflung wäre er am liebsten in Tränen ausgebrochen, aber er paddelte ohne Kurs und Ziel weiter, folgte blindlings unbekannten Wasserläufen und redete sich ein, er werde sich orientieren können, sobald es Tag wurde.
    Aber mit Sonnenaufgang verschlimmerten sich seine Ängste noch mehr. Das Tageslicht zeigte ihm alle Gefahren, die das Dunkel der Nacht gnädig verborgen hatte. Bei jeder kleinen Bewegung im Wasser stellte er sich gleich Giftschlangen und bösartige Alligatoren vor, die ihn dicht unter der Oberfläche belauerten.
Vögel mit riesigen Flügelspannweiten strichen ärgerlich krächzend über ihn hinweg.
    Und die Gleichförmigkeit der Sumpflandschaft trieb einen zum Wahnsinn. Er paddelte weiter, immer weiter, denn er hoffte, unmittelbar hinter der nächsten Biegung etwas anderes als diese verfluchte Eintönigkeit vorzufinden. Aber obwohl er bestimmt viele Meilen paddelte, nahm er keine Veränderung der Landschaft, sondern nur kleine Wechsel von Licht und Schatten wahr.
    Gegen Mittag des ersten Tages gestand er sich ein, daß er sich hoffnungslos verirrt hatte. Er war erschöpft, weil er in der Nacht zuvor keine Sekunde geschlafen hatte. Und er spürte die Folgen der Prügel, die er bezogen hatte, schlimmer als unmittelbar danach. Sein linkes Auge war beinahe zugeschwollen. Sein Atem pfiff durch verschobene Nasenlöcher, aus denen ab und zu hellrotes Blut tropfte. Eine vorsichtige Erkundung seiner Lippen mit einer Fingerspitze zeigte ihm, daß sie grotesk geschwollen waren.
    Innerlich und äußerlich zerschlagen, hätte er eine Million Dollar für ein Aspirin gegeben, aber selbst wenn er eins gehabt hätte, hätte er es trocken hinunterschlucken müssen. In der irrigen Annahme, nach ein bis zwei Stunden irgendwo anlegen zu können, um sich mit Essen und Trinken zu stärken, bevor er sich von jemandem nach New Orleans zurückfahren ließ, hatte er keinen Proviant, auch kein Trinkwasser mitgenommen.
    Aber daß er hungrig und durstig war, erschien ihm unwichtig im Vergleich zu der trostlosen Erkenntnis, daß er allein und ungeliebt in dieser Wildnis sterben würde. Welch unwürdiges Ende für einen Jungen, der mit allen Privilegien aufgewachsen war, die Amerika den Reichen und Schönen zu bieten hatte!
    Selbst als er an einem Uferstreifen vorbeikam, der aus festem Boden zu bestehen schien, dachte er nicht daran, dort an Land zu gehen. Die schrecklichste Zeit seines Lebens – jedenfalls vor dieser Woche – hatte er in einem Sommerlager verbracht. Seine
Eltern hatten ihn dort hingeschickt, weil sie fanden, er müsse abgehärtet werden. Er hatte es nicht geschafft, sich auch nur die einfachsten Fertigkeiten für ein Leben in freier Natur anzueignen. Nach zwei Wochen hatte die frustierte Lagerleitung seine Eltern angerufen und ihnen die Rückerstattung der Kursgebühr versprochen, wenn sie kämen und Gregory abholten.
    Selbst erfahrene Angler und Jäger waren schon in den Sümpfen umgekommen – als Opfer der feindlichen Umgebung oder der Raubtiere, die dort lauerten. Er hatte viele Berichte über gräßliche Todesfälle gelesen. Manche Pechvögel waren hier verschwunden, ohne daß ihre

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