Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
von den Fluten des Pazifik trennte. Die Vorstellung, hier ins Wasser zu fallen, ängstigte sie, und krampfhaft hielt sie sich mit beiden Händen an ihrer Reisetasche fest. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Altersgenossen hatte sie nie in einem der Flussschwimmbäder ihrer Heimat schwimmen gelernt. Anfangs hatten es die Schienen an ihren Beinen verhindert, und später hatte die Mutter ihr davon abgeraten. Eine Frau müsse nicht unbedingt schwimmen können, hatte sie stets gesagt.
»Schauen Sie«, sagte Bruder Lorenz und deutete aufs offene Meer, wo Isabel ein großes Kanu mit rechteckigem Segel erblickte. »Das sind die Seefahrer der Insel Tami. Sie kommen oft zum Handeln nach Simbang. Die Mission denkt darüber nach, auf Tami eine Zweigstation zu errichten.«
Nicht weit davon entfernt tuckerte eine Dampfpinasse. Die Weite des Ozeans in Verbindung mit dem schwankenden Kanu ließ Isabel schwindeln. Schnell drehte sie den Kopf wieder zum Land.
Entlang der Küste erblickte sie überall dasselbe Bild: Ein schmaler Strand, an dem sich Bananenpalmen mit mächtigen Blättern im Wind bogen, dichter Dschungel und dahinter bewaldete Hänge, hinter denen sich weitere, höhere Hügelketten erhoben. Es kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor, dabei konnte höchstens eine gute Stunde vergangen sein, als ein Fluss eine Bucht in die Küste schnitt und Jeffari das Kanu an Land steuerte. An der Flussmündung lagen das Dorf und die nach ihm benannte Missionsstation Simbang. Nahe am Strand, der hier etwas breiter war, standen die Häuser der Missionare, wie Bruder Lorenz ihr erklärte – einfache Hütten aus Holz, Palmwedeln und Flechtwerk, zum Schutz vor dem Wasser auf einen Meter hohe Stelzen gebaut. Jeffari und Sabiam sprangen ins gut knietiefe Wasser und zogen gemeinsam das Kanu an Land, dann halfen sie den beiden Weißen aus dem Boot. Isabels Schuhe versanken in feinem hellem Sand, der Geruch von Fisch, Rauch und feuchtem Grün lag in der Luft.
Ihre Ankunft war nicht unbemerkt geblieben: Eine Gruppe von Eingeborenen hatte sich am Strand versammelt und scharte sich um sie. Die Männer waren höchstens so groß wie Isabel, die Frauen kleiner. Alle trugen sie einen kurzen Pflock durch die Nase. Isabel sah viel kaffeebraune, nackte Haut, bei den Männern verhüllt von einem roten Lendentuch, bei den Frauen von raschelnden, knielangen Baströckchen, blickte in dunkle, unbewegte Gesichter, denen keine Regung anzusehen war, und wäre am liebsten im Boden versunken. Diese vielen Menschen schüchterten sie ein – in Finschhafen hatte sie nur einzelne Einheimische gesehen, wo diese fast wie Fremdkörper inmitten all der weißen Europäer gewirkt hatten. Hier in Simbang kam sie sich selbst wie ein Fremdkörper vor, und als könnte sie sich dahinter verstecken, presste sie ihre Reisetasche wie zum Schutz an sich. Ihr restliches Gepäck hatte sie bei Herrn von Faber gelassen.
»Haben Sie keine Angst, Schwester Maritz«, erklärte Bruder Lorenz ihr und nickte freundlich hierhin und dorthin. »Sie sind nur neugierig. Diese Menschen haben kaum jemals eine weiße Frau gesehen.«
Isabel versuchte sich an einem vorsichtigen Lächeln, und tatsächlich: Eine der Frauen, die wie alle anderen nackte Brüste zur Schau stellte und ihr krauses Haar kurzgeschoren trug, entblößte rötliche, betelsaftgefärbte Zähne und lächelte zurück. Dennoch atmete Isabel auf, als sie unter all den dunklen, fremden Gesichtern ein europäisches entdeckte. Bruder Laumer, wie er sich ihr sogleich vorstellte, trug wie Bruder Lorenz einen langen Bart, war aber von weitaus kräftigerer Statur, und sein Gesicht über der haarigen Manneszierde strahlte rosige Freundlichkeit aus. Isabel schätzte ihn auf Mitte dreißig.
»Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Schwester Maritz«, sagte er, während er Isabels Hand herzlich schüttelte. Bei seinem vertrauten fränkischen Dialekt fühlte sie sich gleich heimisch. »Und ich soll Ihnen ausrichten, dass Bruder Schwarz es bedauert, nicht zu Ihrer Begrüßung kommen zu können. Er leidet heute sehr unter dem Wechselfieber. Aber morgen geht es ihm bestimmt wieder besser.«
»Oh, ja, das hoffe ich doch. Richten Sie ihm bitte meine besten Genesungswünsche aus.«
Ein wenig abseits der übrigen Dorfbewohner drängte sich eine Gruppe dunkelhäutiger Halbwüchsiger. »Das sind unsere Kostschüler«, erklärte Bruder Laumer, der Isabels Blick bemerkt hatte. »Jetzt, am Nachmittag, haben sie keinen Unterricht, dennoch hat jeder hier
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