Im Herzen der Nacht - Roman
Einer nach dem anderen wird leiden und sterben. Das kannst du nicht verhindern. Auch du wirst leiden, denn du weißt, sie müssen die Qualen wegen deiner Taten erdulden. Du wirst dich fragen, wann, wo und wie ich sie vernichten werde. Alle werde ich zerstören und nur noch leben, um mich an deinem Schmerz zu weiden.«
Nach all den Jahrhunderten dröhnten die Worte der wütenden Gottheit noch immer in seinen Ohren. Stöhnend entsann er sich, wie seine Frau in seinen Armen gestorben war. »O Speirr, ich fürchte mich. Ich will nicht sterben...«
Alles seine Schuld. Jeder einzelne Tod, jede Tragödie. Warum wurden so viele Leben ausgelöscht, nur wegen eines einzigen dummen Fehlers? Er hatte sich von seinen Emotionen leiten lassen und letzten Endes nicht nur sich selbst vernichtet, sondern auch die Menschen, die er liebte.
Bei der Erkenntnis dieser bitteren Wahrheit hielt er den Atem an.
»Mit diesem Fluch wurdest du geboren«, flüsterte Garas brüchige alte Stimme in seinem Gehirn. »Ein Bastard, aus einer Vereinigung entstanden, die niemals hätte geschehen dürfen. Geh jetzt, und nimm das Baby mit, bevor der Zorn der Götter auch über mich hereinbricht.«
Hilflos hatte der siebenjährige Talon die alte Vettel angestarrt. Für diese Frau arbeitete seine Mutter. Als seine Mutter und Tress erkrankten, erlaubte Gara ihm, ihre Pflichten zu übernehmen. Nach dem Tod der Mutter schickte die Alte ihn weg.
»Aber Ceara wird sterben... Wie man für ein Baby sorgt, weiß ich nicht.«
»Nun, wir alle müssen sterben, mein Junge. Was aus der Tochter einer Hure wird, geht mich nichts an. Verschwinde jetzt. Und bedenk, wie schnell sich unser Schicksal ändern kann. Deine Mutter war eine Königin, von allen Morriganten am innigsten geliebt. Jetzt ist sie eine tote Bäuerin, nicht besser als wir alle. Nicht einmal die Erde wert, die sie bedeckt.«
Wie scharfe Messer schnitten die grausamen Worte in das Herz des Kindes. Niemals war seine Mutter eine Hure gewesen. Sie hatte nur einen einzigen Fehler begangen, und zwar den, seinen Vater zu lieben. Für ihn war Ceara von den Morriganten alle Schätze dieser Erde wert gewesen. So unermesslich kostbar!
»Denk nicht daran«, befahl er sich und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Natürlich hatte Acheron recht, er musste seine Gefühle begraben. Denn es waren Gefühle gewesen, die ihn vom rechten Weg abgebracht hatten. Er konnte seine Pflichten nur erfüllen, wenn er sich nicht daran erinnerte, wenn er nichts fühlte. Trotzdem tauchten die Emotionen und Erinnerungen, die er vor fünfzehnhundert Jahren begraben hatte, immer wieder auf.
»Also ist der Sohn der Hure zurückgekehrt und bittet dich um Obdach, mein König. Sag mir, König Idiag, soll ich ihm den Kopf abschneiden oder nur seine Nasenflügel aufschlitzen und diesen armseligen Bastard in den Sturm hinausjagen, damit er stirbt wie der wertlose Abfall, der er ist?« Noch immer hörte Talon, wie die Verwandten seiner Mutter lachten, und er spürte die Angst des verzweifelten Kindes, der Onkel könnte Ceara und ihn selbst ebenso im Stich lassen wie all die anderen. Unglücklich drückte er seine weinende kleine Schwester an sich und hoffte, der König würde ihr die
Wärme und Nahrung gewähren, die der Bruder ihr nicht geben konnte.
Kaum zwei Monate alt, weigerte sich Ceara, an den Grashalmen zu saugen, mit denen er sie füttern wollte. Drei Tage lang waren sie gewandert, ohne Ruhe und Rast. Sie hatte immer nur geweint und geschrien. Wie sehr er sich auch bemühte, er konnte sie nicht beruhigen.
Idiag starrte ihn so lange an, dass Talon fürchtete, der Onkel würde sie beide in den sicheren Tod schicken. Im Herd der großen Halle knisterte das Feuer, alle Anwesenden hielten den Atem an.
In diesem Augenblick hasste Talon seine Mutter, weil sie ihn zwang, um das Leben seiner Schwester zu betteln, so qualvoll zu leiden, obwohl er ein unerfahrener kleiner Junge war, der einfach nur weglaufen, sich verstecken und die Wunden seiner Demütigung lecken wollte. Am liebsten hätte er sich von diesem schreienden Baby befreit, das kein Mitleid mit ihm zeigte.
Doch er hatte sein Wort gegeben, und er würde es niemals brechen. Ohne die Hilfe seines Onkels würde seine Schwester sterben.
Als Idiag endlich sprach, blieb sein Blick leer. Gefühllos. »Parth«, wandte er sich zu seinem Wachtposten, »in diesem eisigen Winter hat er viel gelitten, um uns zu erreichen, noch dazu mit diesen Fetzen an seinen Füßen. Also werden wir den
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