Im Herzen der Nacht - Roman
viel hatte sie ihm an diesem Nachmittag gegeben. Er hatte sich willkommen gefühlt. Nicht nur auf sexuelle Weise.
Was hatte sie mit ihm gemacht? Warum weckte eine Frau nach so langer Zeit Gefühle in seiner Brust? Warum beherrschte sie seine Gedanken? Und was ihn am meisten frustrierte, wäre er ein Mensch, hätte er sie nicht verlassen. Du bist aber kein Mensch.
Diese Erinnerung brauchte er nicht. Was er war, wusste er nur zu gut. Es gefiel ihm auch, denn sein Job verschaffte ihm eine ganz besondere Befriedigung. Und doch …
»Was tust du, Speirr ?«
Als Cearas Stimme aus dem Dunkel zu ihm drang, spannten sich alle seine Nerven an. Wurde er bei verbotenen Wünschen ertappt? »Nichts.«
Nun erschien sie an seiner Seite. Ihr schimmerndes Gesicht lächelte ihn wissend an, und er seufzte ärgerlich. Warum versuchte er seine Gedanken vor den Geschöpfen zu verbergen, die ihn sowieso durchschauten?
»Okay, ich wollte sehen, wie es ihr geht«, gab er widerstrebend zu.
»Sie ist nicht traurig.«
»Ja, und das irritiert mich«, platzte er unwillkürlich heraus.
Seine Schwester lachte leise. »Hast du erwartet, sie würde dir nachtrauern?«
»Natürlich. Zumindest hätte sie ein gewisses Bedauern zeigen können.«
»Armer Speirr...« Ceara schnalzte mit der Zunge. »Nun ist dir die einzige Frau auf Erden begegnet, die nicht glaubt, du hättest den Mond und die Sterne an den Himmel gehängt.«
Talon verdrehte die Augen. »Vielleicht bin ich ein bisschen arrogant...« Sie hob die Brauen, und er verbesserte sich. »Sehr arrogant. Aber verdammt noch mal, ich kann sie nicht aus meinen Gedanken verbannen. Warum fühlt sie gar nichts?«
»Oh, ich habe nicht behauptet, sie würde nichts fühlen. Ich sagte nur, sie sei nicht traurig.«
»Also empfindet sie was für mich?«
»Das werde ich feststellen, wenn du willst.«
»Nae«, widersprach er hastig. Wie er diesen Nachmittag mit Sunshine verbracht hatte, durfte Ceara nicht herausfinden. Sie war so naiv. Und daran soll sich nichts ändern...
Sie ging um ihn herum. Aus irgendwelchen Gründen hatte sie das schon immer gern getan. Als kleines Mädchen hat sie mich ganz schwindlig gemacht, wenn sie kichernd um mich herumgerannt ist.
Obwohl sie jetzt erwachsen war, sah er in seiner Fantasie immer noch das pummelige Kind, das stundenlang auf seinem Schoß gesessen, mit seinen Zöpfen gespielt und in der Babysprache geplappert hatte.
So wie Dere. Bei dieser Erinnerung verengte sich seine Kehle.
Ceara war nicht seine einzige Schwester. Zwischen seiner und ihrer Geburt hatten noch drei andere das Licht der Welt erblickt. Fia war in ihrem ersten Lebensjahr gestorben, Tress mit fünf Jahren, an der gleichen Krankheit wie die Mutter.
Und Dere mit vier Jahren.
Bei Sonnenaufgang war sie fortgegangen, um die Überirdischen zu beobachten. Damit hatte Talon sie geneckt und erzählt, bei Tagesanbruch würde er dieses Volk oft durch das Fenster sehen, während sie noch schlief. Selbst erst fünf Jahre alt, hatte er eines frühen Morgens jemanden aus der Hütte schleichen hören. Zunächst glaubte er, es wäre der Vater. Aber als er die Augen schloss, um wieder einzuschlafen, merkte er, dass Dere nicht mehr im Bett lag. Sofort sprang er auf und stürmte ins Freie, um sie zu suchen. Sie kletterte auf die Felsen und schaute aufs Meer hinaus, denn er hatte ihr eingeredet, die Überirdischen würden im ersten Tageslicht auf den Wellen tanzen. Plötzlich erklang ihr Geschrei, und er rannte noch schneller.
Doch er erreichte sie zu spät, um sie festzuhalten. Sie hatte am Fuß der Klippe gelegen und wurde von der Brandung überspült.
Dieses Bild verfolgte ihn immer noch, ebenso wie die Gesichter der Eltern, die er geweckt hatte, um ihnen die schreckliche Neuigkeit mitzuteilen. Am schlimmsten war die Anklage im Blick seines Vaters. Die beiden hatten kein Wort gesagt. Trotzdem wusste er in seinem Herzen, dass sie ihm die Schuld an Deres Tod gaben.
Nicht, dass es eine Rolle spielte. Sein Gewissen peinigte ihn schmerzlich genug. Deshalb hatte er so fürsorglich auf Ceara und Tress aufgepasst und sich so sehr bemüht, sie zu beschützen.
In dieser Nacht bemerkte er ein Zaudern in Cearas Schritten. »Was gibt es Neues in der Daimon-Welt?«, fragte er.
Abrupt erstarrte sie. »Wieso weißt du es?«
»Weil du so seltsam still bist. Es sieht dir nicht ähnlich, im Hintergrund zu bleiben, während ich auf die Jagd gehe, es sei denn, du sprichst mit den anderen.«
In ihren Augen erschien ein
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