Im Herzen der Nacht - Roman
Lächeln. In dieser Welt waren gewisse Dinge heilig. Und kleine Schwestern gehörten dazu. Nur widerstrebend gehorchte er und ließ Sunshine los.
»Talon, das ist mein Bruder Rain«, erklärte sie und klopfte auf den Arm des Mannes. »Rain, das ist Talon.«
»O Gott«, schnaufte Rain, »wenn Sie Talon heißen, müssen Ihre Eltern übriggebliebene Hippies sein.«
»Nicht direkt.«
»Das sind seine Lieblingsworte«, erzählte Sunshine ihrem Bruder. »Nicht direkt.«
»War nett, Sie kennen zu lernen, Talon.« Ihr Bruder musterte ihn von oben bis unten, dann reichte er ihm die Hand. »Jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Sunny, du solltest rufen, wenn du einen von uns brauchst.«
Die versteckte Drohung entging Talon nicht. Wieder einmal musste er ein Lächeln bezwingen. Wenn der Mann wüsste, welche Macht ein Dark Hunter ausübte. »Uns?«, wiederholte er.
Rain zeigte über Talons Schulter hinweg auf zwei Männer, die ebenfalls mit Polizisten redeten. Dem einen, der offenbar von Indianern abstammte, merkte man die Schamanenkräfte sofort an. Der andere war fast ein Klon von Sunshine. »Unser Vater und unser älterer Bruder, Storm - die arbeiten auch im Club.«
Mit einem etwas verkniffenen Lächeln wandte sich Talon wieder zu Rain. »Storm, Rain und Sunshine, eh?«
Sie schnitt eine Grimasse. »Das verdanken wir unserer Mutter. Zum Glück war nach drei Kindern Schluss. Sicher hätte sie das nächste ›Cloudy Day‹ genannt.«
Nun musste er lachen. O Gott, wie sehr er sie vermisst hatte. Am liebsten hätte er sie sofort hochgehoben, nach oben getragen, in ihr Bett, und jeden Quadratzentimeter ihres Körpers kontrolliert, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich nicht verletzt war. Okay, er hatte auch noch andere, nicht ganz so lupenreine Motive. Aber herauszufinden, ob jemand sie angefasst hatte, war am wichtigsten. Sein Blick wanderte über ihren Körper. Ja, alles in Ordnung. Seine Sorge um sie erschien ihm irgendwie seltsam. So etwas
hatte er schon lange nicht mehr empfunden, er wusste nicht, wie er mit solchen Gefühlen umgehen sollte.
Rain entschuldigte sich, kehrte in den Club zurück und ließ seine Schwester mit Talon allein. Verlegen schauten sie sich an. Was sollte er sagen? Das wusste er nicht. Schließlich räusperte sie sich. »Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.«
Genau das hatte er geplant. Was sollte er antworten? »Eh... ich...«
»Oh, du willst deinen Snoopy wiederhaben.«
»Nein«, wiedersprach er hastig, »ich bin deinetwegen zurückgekommen.«
»Wirklich?« Verführerisch lächelte sie ihn an.
»O ja, ich hörte von dem Überfall und machte mir Sorgen«, platzte er gegen seinen Willen heraus.
»Wirklich?«, wiederholte sie.
Talon nickte.
Da strahlte sie über das ganze Gesicht und schmiegte sich in seine Arme. »Wie süß von dir...«
Nicht direkt, dachte er, hielt sie fest und atmete ihren warmen Patschuli-Duft ein. Wie gut sie sich anfühlte. Ihre Brüste pressten sich an ihn, und er erinnerte sich, wie köstlich sie schmeckten, so weich und verlockend in seinen Händen. Bei diesem Gedanken stöhnte er beinahe.
Geh weg...
Aber ich muss sie beschützen.
Natürlich, er hatte geschworen, die Menschen zu beschützen. Vor allem jene, an die sich die Daimons heranpirschen würden. Deshalb war es seine Pflicht, in Sunshines Nähe zu bleiben.
He, für wie dumm hältst du mich eigentlich, Talon? Du redest
mit dir selber. Und alle Lügen dieser Welt werden mich nicht von deinen moralischen, edlen Absichten überzeugen. Du willst mit ihr ins Bett gehen. Gib’s doch zu.
Unsinn, ein paar Tage lang kann ich mich beherrschen. Sie muss beschützt werden. Und wer sollte sich sonst darum kümmern?
Dafür kam Zarek nicht infrage. Der würde in ihren Hals beißen, Talon würde ihn töten, wenn der Psycho es wagte, sie anzurühren. Und Valerius würde lieber sterben, als eine »Plebejerin« zu beschützen. Nick würde sie begrapschen, und Talon müsste die lüsterne Kröte töten. Weil Kyrian ein neues Baby hatte, war er zu erschöpft, um klar zu denken. Und Acheron …
Der hatte zu viel zu tun, um als Babysitter zu fungieren.
Also bin nur noch ich übrig.
»Weißt du, Sunshine, ich finde, du solltest nicht allein in deinem Loft übernachten.«
Sie rückte ein wenig von ihm ab. »Das habe ich auch nicht vor. Heute Nacht gehe ich zu Storm.«
Einige Sekunden lang schwieg er. Auch das war keine ideale Lösung. Mochte ihr Bruder auch ein großer, starker Mann sein, einem
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