Im Herzen der Nacht - Roman
sich einen anderen Thronerben wünschten.
Sunshine warf sich im Schlaf umher, ihr Traum führte sie zu einem anderen Schauplatz. Einige Stunden später sah sie Talon an der Seite einer schönen, etwa dreißigjährigen Frau und eines etwas älteren Mannes. Die Frau war blond und blauäugig wie Talon, der Mann hatte schwarzes Haar und schwarze Augen. Inmitten von fremden Menschen - alle festlich gekleidet, mit goldenen Juwelen geschmückt - standen sie in einer alten holzgetäfelten Halle. Speirrs Onkel trug eine schwarze Lederrüstung, die Tante eine goldene, mit einem langen karierten Rock.
Das Haupt stolz erhoben, betrachtete Talon die versammelte Schar - ein wahrer Prinz. Die Gallier tuschelten, erzählten einander von seinen heroischen Siegen und betonten, er sei Morrigáns Lieblingskrieger. Angeblich stand die Göttin auf allen Schlachtfeldern an seiner Seite. Deshalb würde es kein Feind wagen, seine Schönheit zu zerstören und sein Schwert zu schwächen.
Was niemand ahnte, war die Tatsache, dass Speirr nur zu
gern die Flucht ergriffen hätte, während er auf seine Braut wartete.
»Mein Junge, du bist ja so schreckhaft wie ein Fohlen«, flüsterte seine Tante und lachte.
»Genauso warst du auch, Ora«, wurde sie von ihrem Gemahl geneckt. »Wie ich mich entsinne, drohte dein Vater, dich bei unserer Hochzeit an seinen Arm zu fesseln, wenn du nicht zu zappeln aufhören würdest.«
»Aye, aber da war ich viel jünger als er.«
Beruhigend legte die Tante eine Hand auf Speirrs Schultern. Dann holte er tief Atem, als eine junge Frau zu ihm geleitet wurde.
»Meine Tochter Deirdre«, verkündete König Llewd.
In der Tat, eine Schönheit, war Speirrs erster Gedanke. Mit seidigem goldblondem Haar und gütigen blauen Augen. Aber kein Vergleich mit seiner Nynia. Mit ihr konnte sich keine Frau messen.
Instinktiv trat er zurück, und sein Onkel schob ihn nach vorn. Deirdre lächelte einladend, voller Wärme.
Wieder trat er zurück. Diesmal schob ihn seine Tante zu seiner Braut. »Was hast du ihr zu sagen, mein Junge?«
»Nun, ich...« Natürlich kannte er die Worte, die ihn mit diesem Mädchen verbinden würden. Die hatte er auswendig gelernt. Aber jetzt blieben sie in seiner Kehle stecken, und er konnte nicht atmen. Er trat erneut zurück, wieder stießen ihn der Onkel und die Tante nach vorn, zu dem blonden Mädchen, zu einem Schicksal, das ihm kalt und öde erschien.
»Speirr!« , mahnte sein Onkel.
Tu es, oder du wirst alles verlieren.
Wenn ich es tue, verliere ich das Einzige, das mir etwas bedeutet.
Er glaubte die Verzweiflung in Nynias Augen zu sehen, die Tränen, die sie bekämpft hatte. Entschlossen biss er die Zähne zusammen und hob sein Kinn. »Nein, ich will es nicht tun.« Dann fuhr er herum und eilte aus der Halle, hörte die Schreckensschreie, als er zur Tür hinausrannte.
Wenige Sekunden später folgten ihm der Onkel und die Tante. Auf halbem Weg zu seinem Pferd wurde er aufgehalten, Idiag umklammerte seinen Arm. »Was stimmt nicht mir dir?«
»Was ist los, Speirr?«, fragte seine Tante in sanfterem Ton.
Bedrückt schaute er von einem zum anderen. Wie sollte er erklären, was in seinem Herzen vorging?
»Ich werde sie nicht heiraten.«
»Doch!«, entgegnete sein Onkel in strengem Ton. »Geh sofort zurück!«
»Nae!«, erwiderte Speirr entschlossen. »Weil ich eine andere liebe.«
»Wen?«, fragten sie wie aus einem Mund.
»Nynia.«
Verständnislos wechselten sie einen kurzen Blick.
»Verdammt, wer ist Nynia?«, stieß der König hervor.
»Etwa die Tochter des Fischhändlers?«, erkundigte sich seine Tante.
Idiag runzelte die Stirn. »Was, die Tochter des Fischhändlers?« Erbost hob er seine Hand, um seinen Neffen zu ohrfeigen.
Aber Speirr hielt sein Handgelenk fest. Die Tage, in denen sein Onkel ihn geschlagen hatte, waren längst vorbei.
»Bist du wahnsinnig?« Idiag riss sich los. »Woher kennst du sie überhaupt?«
Alle Nerven angespannt, erwartete Speirr die Verdammnis, die ihm drohte. Zweifellos würde der Onkel ihn aus dem Clan verbannen, so wie einst die Mutter.
Doch das spielte keine Rolle. Der einzige Mensch, der ihn jemals akzeptiert hatte, war Nynia. Er würde sie nicht im Stich lassen, indem er eine andere heiratete, während sie in ihr armseliges, elendes Leben zurückkehren musste. Ohne sie wollte er nicht alt werden.
»Gewiss, das versteht ihr nicht. Ich müsste in diese Halle zurückehren und die Tochter des Galliers heiraten. Aber das kann ich nicht.«
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