Im Herzen der Nacht - Roman
Speirr. Niemals werde ich dich verlassen.«
Da nahm er sie in die Arme. Weinend hielt er sie fest. Sie war alles, was ihm geblieben war. Um sie zu beschützen, würde er sogar den Göttern trotzen. Seine Frau hatte er nicht retten können. Aber seine Schwester würde er vor allen Gefahren bewahren. Niemand durfte ihr ein Leid antun.
Kurz vor Sonnenuntergang erwachte Talon mit einem beklemmenden Druck im Magen. Wie allein er sich fühlte, krank und elend... So war ihm seit Jahrhunderten nicht mehr zumute gewesen. Seit jener Nacht nicht mehr, in der Acheron ihn gelehrt hatte, seine Emotionen zu begraben.
An diesem Abend spürte er die Einsamkeit seines Lebens
besonders schmerzlich, er konnte kaum atmen - bis er etwas Seltsames in seinem Bett roch. Patschuli und Terpentin.
Sunshine.
Als er an diese wundervolle Frau und ihre Lebenslust dachte, wurde ihm sofort leichter ums Herz. Lächelnd sog er ihren Duft in seine Lungen und wollte sich zu ihr wenden. Doch die Matratze an seiner Seite war leer. »Sunshine?«, rief er. Mit gerunzelter Stirn schaute er sich vergeblich nach ihr um.
»Würdest du mich in Ruhe lassen, du dummes Biest?«, erklang ihre Stimme vor der Hütte. Ehe er reagieren konnte, flog die Tür auf, und er sah Sunshine mit einem fauchenden Alligatorenweibchen kämpfen. »Gib mir meine Staffelei zurück, verdammte Bestie! Wenn du einen Zahnstocher brauchst - auf dieser Veranda findest du genug Holz.
»He, Beth!«, mahnte Talon grinsend. »Was treibst du denn?«
Das Krokodil riss das Maul auf, ließ die Staffelei los, an der Sunshine zog und zerrte, und sie taumelte rückwärts ins Zimmer. Erbost starrte Beth ihr nach und zischte.
»Keine Bange, sie sagt, sie will dich nur ins Haus scheuchen«, erklärte Talon. »Bevor es dunkel wird und irgendwas dich fressen will.«
»Ich wäre ohnehin hineingegangen. Hör mal, du Schrecken aller Sümpfe, ich...« Sunshine unterbrach sich. »Rede ich tatsächlich mit einem Krokodil?«
»Oh, das ist schon okay«, meinte er belustigt. »Ich tu’s ja auch.«
»Ja, aber - nichts für ungut, du bist ziemlich exzentrisch.«
Was? Ein Esel schimpfte den anderen Langohr?
Sie jagte Beth davon und warf die Tür zu. Dann deponierte sie ihre Malsachen in einer Ecke. Talon beobachtete sie interessiert. Vor allem, weil ihre Jeans das runde Hinterteil so hübsch umspannten, als sie sich bückte.
»Wie lange bist du schon auf?«, fragte er.
»Ein paar Stunden. Und du?«
»Ich habe eben erst die Augen geöffnet.«
»Schläfst du immer so lange?«
»Ja, weil ich die ganze Nacht wach bin.«
»Ich glaube, du hast dem Nachteulenstatus eine neue Bedeutung verliehen.« Lächelnd setzte sie sich zu ihm auf den Futon, ihre mit Farbklecksen verzierten Finger strichen über ihre Knie und lenkten Talons Aufmerksamkeit auf ihre wohlgeformten Beine. Am liebsten hätte er seine Hände zwischen den Schenkeln nach oben wandern lassen... Bei diesem Gedanken erfasste ihn sofort neues Verlangen.
»Soll ich dir was zum Frühstück machen?«, schlug sie vor. »In deiner Kochnische gibt’s nur wenig, das dich nicht töten oder außer Gefecht setzen würde. Aber wie wär’s mit einem Eiweißomelett?«
Seufzend schnitt er eine Grimasse. Wahrschlich würde ein Eiweißomelett noch schrecklicher schmecken als der Tofu. Irgendjemand müsste dieser Frau die Vorzüge von Schokolade erklären. Bei diesem Gedanken stellte er sich vor, wie Sunshine von oben bis unten mit Schokolade beschmiert schmecken würde. In der letzten Nacht war er nicht dazu gekommen, das auszuprobieren.
Ohne zu ahnen, wovon er träumte, fragte sie: »Hast du noch nie was von Kleieflocken gehört? Oder von ganzen Weizenkörner?«
»Nein, niemals.« Er strich über ihren Arm nach oben, um die zarte Haut ihres Halses mit seinen Fingerspitzen zu berühren.
»So, wie du dich ernährst, kannst du von Glück reden, wenn du noch dreißig Jahre lebst«, schimpfte sie. »In einer Schokoladenfabrik gibt’s sicher nahrhafteres Zeug als in deiner Küche.«
Talon lächelte schweigend. Warum faszinierte sie ihn so sehr? Während sie ihm eine Lektion erteilte, hörte er entzückt zu, statt sich über ihre Vorwürfe zu ärgern. Aber warum sollte er ihr auch grollen? War es nicht nett, dass sie sich wegen seiner mangelhaften Ernährung sorgte? »Darf ich ein bisschen an dir knabbern?«, bat er.
Sunshine schnappte nach Luft. Ehe ihr eine passende Antwort einfiel, zog er sie an sich, und sein Kuss verschloss ihr den Mund.
Wie
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