Im Herzen der Zorn (German Edition)
haben.«
Skylar verhielt sich absolut still. Wenn sie bis jetzt nicht bemerkt hatten, dass sie Gesellschaft hatten, würden sie es vielleicht gar nicht tun.
»Ich denke, das hast du verdient. Es ist bloß … Was ist mit Skylar?«, kam es von Em.
»Nein, nein, ich bin immer noch der Meinung, sie sollten zusammen sein!« Gabbys Protest war schrill, aber ehrlich. »Wenn ich ihn im Moment nicht haben will, sollte sie ihn nehmen. Sie ist wirklich reizend und er auch.«
Skylar versuchte, ihre Beine vom Zittern abzuhalten. Das war sie also, Gabby Doves erbärmliche Almosenempfängerin. Diejenige, die nahm, was Gabby übrig ließ oder ganz verschmähte.
Sie horchte, als Gabby und Em gingen, lehnte sich an die Innenseite der Kabinentür und presste die Stirn gegen das kühlende Metall.
Was ist mit Skylar? Die Worte klangen ihr im Kopf und ihr mitleidvoller Ton hätte sie beinahe zum Erbrechen gebracht.
In der fünften und sechsten Stunde konnte sie sich kaum noch beherrschen. Sofort nach dem Mittagessen rief sie Meg an.
»Arbeitest du heute?«
»Nein, warum?«, antwortete Meg.
»Kannst du mich irgendwo hinfahren?«
Sie schwänzte die letzte Stunde, traf sich mit Meg auf dem Parkplatz und dirigierte sie zu Gabby nach Hause.
»Warte hier unten«, sagte sie, als sie in Gabbys lange Einfahrt einbogen. Skylar sah, dass am oberen Ende kein Wagen geparkt war. Die Doves waren also noch bei der Arbeit und sie wusste, dass Gabby nach der Schule ein Treffen mit den Cheerleadern hatte. Sie hatte freie Bahn, wenigstens für kurze Zeit.
»Bist du sicher, dass du mir nicht erzählen willst, was los ist?«, fragte Meg grinsend. Skylar wusste, dass Meg Überraschungen liebte.
»Das erzähl ich dir später. Warte einfach vor der Einfahrt auf der Straße. Es dauert nur fünf Minuten.« Sie zwängte sich aus dem weinroten Lincoln und rannte zu Gabbys Haus hinauf. Sie zitterte vor Aufregung, ihre Finger fühlten sich in den Handschuhen ganz taub an. Sie klingelte an der Haustür, nur für alle Fälle. Niemand öffnete. Dann lief sie schnell nach hinten und klopfte an die Scheiben – wieder reine Vorsicht. Aber es war offensichtlich niemand zu Hause und die Doves schlossen ihre Hintertür nie ab. Jeder, der Gabby kannte, wusste das. Sie und ihre Mom vergaßen dauernd ihre Schlüssel.
»Hallo?«, sagte Skylar, als sie in die blitzblanke Küche trat, wo Fotos von Gabby und ihren Brüdern den Edelstahlkühlschrank zierten.
Skylar lief die Treppe hinauf in Gabbys Zimmer. Sie inspizierte alles ganz genau. Dies war schließlich ein Aufklärungseinsatz. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, direkt neben Gabbys ordentlich gemachtem Bett, stand eine Kommode, auf der sich sämtliche von Gabbys Haar- und Gesichtspflegeprodukten befanden. Ihr Lockenstab. Ihre Tagescreme und die parfümierte Körperlotion. Ihre Schminksachen.
In der Nähe der Kommode stand ein Stuhl, auf dem wahllos Schals, Leggings und Kleider gestapelt waren. Neben dem kleinen Schrank – »mein absolutes Verderben«, sagte Gabby gerne – befand sich ein Regal, vollgestopft mit Gabbys teuren, hochhackigen Designerschuhen in allen erdenklichen Ausführungen: goldfarben, rot, türkis, kariert. Bastabsätze, Holzabsätze, Schichtabsätze.
Skylar erlaubte sich, mit den Fingern über die weiche cremefarbene Daunenbettdecke zu streichen. Es fiel ihr schwer, nicht an Lucy zu denken, während sie, die Füße ganz leicht im plüschigen Teppichboden einsinkend, ihre Runde durch Gabbys Reich drehte. Auch Lucy hatte ein Zimmer gehabt, das mit Fotos, Trophäen und Stofftieren – wahrscheinlich Geschenke ihrer Verehrer – gefüllt war. Auch Lucy hatte Kleider besessen, die ihr perfekt passten, und Make-up, das ihre makellose Haut noch besser zur Geltung brachte. Nicht so wie Skylar, deren Schrank voll mit Sachen war, die gut aussehen würden, »wenn sie erst mal ein paar Pfund abgenommen hätte«, deren Schminktasche bis zum Rand mit diversen Tuben Abdeckcreme gefüllt war, um ihre permanent wiederkehrenden Akneausbrüche zu kaschieren.
Ihre Entschlossenheit geriet langsam ins Wanken. Sie hatte vorgehabt, Gabby genau unter die Lupe zu nehmen und ihre Schwachstellen zu finden. In diesem perfekten Zimmer war es jedoch schwierig, sich vorzustellen, dass Gabby überhaupt irgendwelche Unvollkommenheiten besaß. Selbst als Gabbys eigenes Eingeständnis Skylar noch einmal im Kopf klang – Ich bin einfach müde. Alle erwarten von mir, dass ich perfekt bin –, war es schwer,
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