Im Herzen Des Lichts
Mal im Schlamassel. Mit mehr Zeit und Ruhe könnte er die Steine bestimmt richtig ordnen.
Es waren insgesamt dreiunddreißig. Einige hatten eine sorgfältige Markierung. Es konnte doch nicht unmöglich sein, herauszubekommen, welche Steine zur unteren Reihe gehörten! Aber offenbar war es das doch. Er schaffte es einfach nicht. Er hatte es bereits viermal versucht. Und jetzt dämmerte es schon fast. Zuerst würde der Himmel sich blau färben und die Sterne verschlingen. Dann würde ein Purpur wie vom Umhang eines Königs die Tempelmauern entlangkriechen, dem die Zungen roter Flammen folgten, welche die Dunkelheit verbrannten. Wenn sich danach das zarte Grün und das Rosa des neuen Tages ausbreiteten, würden die Priester und Akolythen kommen, um ihre morgendlichen Pflichten aufzunehmen.
Man würde Zip dort entdecken, wohin sich Ilsiger normalerweise nicht trauten - in der unmittelbaren Nähe eines rankanischen Tempels. Und dann würde der Flußgott sich seiner Rache erfreuen.
So würde es sein, das wußte Zip. Er zitterte am ganzen Leib vor Angst und Schwäche. Er war zu erschöpft, davonzulaufen, zu müde, um sich zu verstecken. Ihm war, als hätte die Dunkelheit ihm Kraft und Mut entzogen, als wäre seine Seele so zerlegt wie dieses Heim aus Steinen, das er nicht mehr zusammenzusetzen vermochte.
Er kauerte sich den Tränen nahe neben die eingestürzten Kalksteinblöcke. Er hätte gern Abbitte geleistet, es hatte nicht in seiner Absicht gelegen, den Schrein des Flußgottes durch die unbefugten Hände seiner Rebellen zu entweihen. Er hatte wirklich versucht, das Richtige zu tun.
Und in seiner tiefen Not tat er das, was unzählige Menschen im Lauf der Zeit getan hatten. Zip betete: Gott, flehte er lautlos mit geschlossenen Augen und den Händen auf dem Stein, den er selbst markiert hatte. O Gott, vergib deinem getreuen Diener. Das Böse hat nach mir gegriffen. In meiner Torheit habe ich gegen dich gesündigt. Vergib deinem getreuen Diener und hilf mir, es richtig zu machen. Hilf deinem getreuen Diener, deinen Tempel zu errichten, und ich werde dir das Blut einer Jungfrau unter zwölf, die Augen eines Ochsen darbringen - was auch immer du möchtest, laß es mich wissen, und ich werde es tun. Aber hilf mir, daß es mir gelingt, deinen Tempel aufzubauen, und gib mir ein Zeichen, daß du mit diesem Ort einverstanden bist. Bevor ich dabei geschnappt und in den Kerker geworfen werde, fügte er stumm hinzu.
Denn er hatte einen Laut gehört, der ihn erstarren ließ, als wäre er versteinert: ein Pferdehuf, der gegen ein Steinchen stieß, und das Scharren eines anderen auf Kopfsteinpflaster.
Er hielt den Atem an und hörte mehr: das Rauschen eines buschigen Pferdeschweifs, das Klingeln der Glöckchen eines Halfters. Verflucht, jetzt ist alles zu spät, dachte er.
So nahm der Gott also Rache an ihm, ging ihm durch den Kopf. Er würde die Augen öffnen, sich umdrehen - und was würde er erblicken? Einen bewaffneten Edlen aus dem Palast? Einen Standortsoldaten? Eine beysibische Kämpferin? Oder sonst jemand, der ihn zur Gerichtshalle schleppen würde, weil er es gewagt hatte, sich auf des Sturmgotts Tempelanlage herumzutreiben. Nicht einmal seine Bestallung als Wachoffizier konnte ihn jetzt noch retten, nicht vor der Strafe für die Entweihung heiligen Bodens, wenn dieser Boden den Rankanern heilig war.
Er hob die Lider und blickte auf das Durcheinander von Altarsteinen. Nun, er hatte es versucht. Er fragte sich, was aus diesen Steinen würde, aus dem Zuhause des Gottes und aus dem Gott selbst. Würde er sich und die Steine auf magische Weise zum Fluß zurückversetzen, wo es sicher war?
Und wenn dieser Gott dazu nicht imstande war, was würde dann mit dem armen Zip geschehen, der es fertiggebracht hatte, nicht nur sein Leben zu ruinieren, sondern auch noch das eines Gottes?
Er biß sich auf die Lippe und entschloß sich, sich umzudrehen und seinem Schicksal zu stellen.
Was er erblickte, war ein einzelner Reiter. Das Pferd wirkte riesig in der Düsternis, seine gewaltige Brust schien Zip mit den Augen eines Panthers anzustarren und hatte den klaffenden zahnbewehrten Rachen eines Panthers.
Zip blinzelte und erkannte, daß dieses Geschöpf ein Streitroß in einem Pantherfell war. Und die Großkatze, die dafür ihr Fell hatte geben müssen, war riesig gewesen und so beeindruckend, daß ihr Schädel nicht lediglich gehäutet, sondern ausgestopft und mit Glasaugen versehen worden war.
Das Pferd hatte die Farbe des
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