Im Herzen Des Lichts
Fußgelenk, vom Fußgelenk zum Handgelenk, vom Handgelenk zum Riemen. Die Luft roch nach Wein, der mit einer Droge versetzt war, und hallte unter dem Knallen einer Peitsche.
Es war zu spät. Illyra sah Sklavengesichter und hörte Jinny seinen Namen nennen. Sie trennte sich von der Sicht und überlegte sich Worte, die helfen würden, die unvermeidliche Verzweiflung zu dämpfen, die ihre Antwort unweigerlich auslösen würde.
»Noch eine Karte«, hörte sie sich wispern. »Nehmt eine unter dem Wirbelwind.«
Die Suvesh, die Nicht-S’danzo Leute dieser Welt, kannten zwar vielleicht keine der Rituale der Seherinnen, aber sie kannten den Ablauf, nachdem sie einer Seherin die Münze in die Hand gedrückt hatten - und jegliche Abweichung davon bedeutete bestimmt schlechte Neuigkeiten. Illyras Besucherin schluchzte unverhohlen, als sie nach dem ersten Haufen langte.
Zwei Karten, nicht nur eine, rutschten heraus: der helle und dunkle Tunnel der Flammendrei und das dunkle Gesicht des Erdgottes. Illyra betrachtete sie, aber sie halfen ihr nicht.
»Er wurde auf ein Schiff gebracht«, sagte sie langsam und stieß die nun leblosen Velinkarten zu einem Haufen zusammen. »Weder war es seine Entscheidung, zu gehen«, fuhr sie fort und überging seine Versklavung. Ohne große Überzeugung fügte sie hinzu: »Noch liegt die Zeit und Art seiner Rückkehr in seiner Hand.« Illyra brachte es nicht übers Herz, der bedauernswerten Frau zu sagen, daß das Beste, was Jinnys Zukunft ihm bringen mochte, ein Grab in der Erde sein würde, nicht in den Wellen.
»Besteht keine Hoffnung? Es muß doch etwas geben, das ich tun kann! Irgend etwas! In welchen Tempel soll ich gehen? Zu welchen Göttern soll ich beten?«
Illyra schüttelte den Kopf, dann sprach sie als Frau, nicht als Seherin. »Hoffnung besteht immer - aber Hoffnung kommt nicht aus einem Päckchen S’danzokarten.«
Ihre Besucherin stand schwerfällig auf. Illyra fand ihren Verdacht bestätigt, daß sie in wenigen Monaten gebären würde und noch ärmer denn Suyan war, als sie sie aufgelesen hatten.
»Nehmt Euer Geld zurück.«
»Wird das etwas ändern?«
»Nein, aber Ihr könnt Euch dafür heute zu essen kaufen und morgen ebenfalls.«
»Ich brauche morgen nichts mehr zu essen!« schluchzte die Schwangere und rannte davon.
O doch, dachte Illyra, niedergedrückt durch das Bild einer blassen Frau und eines dünnen Kindes. Da ist kein Tod für sie. Und auch kein Leben.
Das Klopfen von drei Hämmern riß sie aus ihrer Vision. Dubro gab den Rhythmus an, und die beiden anderen hämmerten das rotglühende Eisen. Einer schlug ihn richtig; aber der andere war aus dem Takt, und sein Hammer hüpfte über das Metall. Die Schmiede hallte in einem unnatürlichen Rhythmus, der tief hinter Illyras müde Augen drang.
»Kannst du es nicht endlich richtig machen!« fauchte sie, als sie Kopf und Schultern durch den Türbehang des Vorraums geschoben hatte.
Das Dröhnen verstummte. Die beiden jüngeren Männer starrten Illyra bestürzt an, und Dubro warf ihr einen wissenden, besorgten Blick zu.
»Lernen ist nicht so leicht«, sagte ihr Gatte vorsichtig, während seine Augen sich zu Schlitzen zusammenzogen.
»Was lernt er denn? Wie er mir Kopfschmerzen machen kann?«
Dubro nickte zweimal. Das erste Nicken wies seine Helfer an, den Hammer niederzulegen. Das zweite galt seiner Gattin, auf die er zuging. Er legte sanft den Arm um sie und führte sie in den Vorraum zurück. So, wie die Schmiede sein wahres Zuhause war, so war der Wahrsageraum Illyras wirkliches Zuhause, in dem er sich wie ein unwillkommener Riese fühlte, denn er stieß sich hier den Kopf an den Deckenbalken an, konnte sich jedoch auch nicht setzen, da der Stuhl für die Kunden sein Gewicht nicht aushalten würde.
»Lyra, ich schicke sie heim, wenn du möchtest, aber ich glaube nicht, daß es das Hämmern ist, das dich stört. Was fehlt dir, Lyra?«
Illyra beherrschte auf ihrem Hocker den Raum. Sie mußte den Kopf zurücklegen, wollte sie ihrem Gatten ins Gesicht sehen. Aber sie hatte nicht die Absicht, sich von ihm in die Augen blicken zu lassen. So sprach sie statt dessen zu dem Tisch, mit einer so weichen Stimme, daß sie das Unbehagen des Schmieds in diesem Raum erhöhte. Doch sie fühlte sich nicht wohler als Dubro. Nervös suchten ihre Finger nach den Karten und mischten sie.
»Alles und nichts, Dubro. Ich weiß nicht, was mir fehlt - und es ist mir schon fast egal.« Die Karten entglitten ihren Fingern und verteilten
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