Im Herzen Rein
mit einem Couchtisch. Durch die drei Fenster zum Innenhof blickte man direkt auf die Mauer der Strafvollzugsanstalt mit den Stacheldrahtrollen. Verständlich, dass Chris in der Pause zur Spree fuhr.
Bach war schon da. Er stand auf, um Paula zu begrüßen.
Sie schätzte ihn auf vierzig oder etwas darüber. Er war blass und schlank, hatte aber ein fleischiges Gesicht mit einem Grübchen im Kinn. Mit seinen hellblauen Augen lächelte er sie freundlich an.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich habe Ihren letzten Fall in den Medien verfolgt. Ich bin beeindruckt. Ich schätze Kompetenz, gerade heute, wo es vielen nur noch um die Karriere geht.« Er wartete einen Augenblick, ob sie etwas sagen würde, und fügte dann hinzu: »Kompliment. Haben Sie den Täter erschossen?«
Paula warf Chris einen schnellen Blick zu. Beide wussten, dass Paula die Frage unangenehm war. Der Täter war eine Frau gewesen, was keiner gewusst hatte, und der tödliche Schuss, den Paula hatte verhindern wollen, war von einem Scharfschützen abgegeben worden.
Chris sagte schnell: »Wir sind seit zwei Stunden hier und gehen das Material durch. Professor Bach hat gerade das Sektionsgutachten gelesen.«
Er nahm wieder hinter dem Schreibtisch Platz, und Chris zog einen Stuhl heran, sodass beide Frauen ihm gegenübersaßen. Paula irritierte diese Sitzordnung, aber das ging sie nichts an.
»Frau Gregor hat um diese Unterredung gebeten«, sagte Bach, »weil sie meine Meinung zu einem Vorfall hören möchte, der sich bei der Ermittlung am Fundort der Leiche ereignet hat.«
»Du weißt, dieser Typ, der mir seine Visitenkarte in die Hand gedrückt hat«, sagte Chris. »Er heißt Josef Heiliger. Ich habe Professor Bach von diesem Auftritt erzählt, und er gab mir den Tipp, ihn anzurufen und zu fragen, was er mir Wichtiges zu sagen hat.« Sie berichtete kurz, was sie über Josef Heiliger herausgefunden hatte, dass sie sich mit ihm verabredet hatte und wie die Installation Der Untergang der zwei Liebenden auf sie gewirkt hatte.
Paula hörte aufmerksam zu. Sie hatte ihre eigene Meinung über den Jogger, ob er nun ein Künstler war oder nicht, und war erstaunt, wie anders ihre Freundin damit umging. Würde es nicht ein Mordfall sein und Chris nicht die Leitende Staatsanwältin, hätte sie es für einen Flirt gehalten. In Paulas Augen fand dieser Kerl Chris attraktiv und wollte Kontakt aufnehmen, aber da er ein exaltierter Künstler war, musste sein Auftritt natürlich auch entsprechend verrückt sein. Dabei hatte er Instinkt bewiesen, denn das passte zu Chris. Dramatische Liebesszenen gefielen ihr. Paula erinnerte sich an die eine oder andere Affäre, die ihr die Freundin erzählt hatte, und immer ging es um Verrücktheiten, Auftritte, unmögliche Uhrzeiten oder Treffpunkte. Einer hatte sich mal mit ihr am 13.13. um 13.13 Uhr auf dem Eiffelturm verabredet, und sie war tatsächlich am 13. Januar, den sie als den 13. Monat verstand, hingeflogen. Und es war eisig kalt, als sie seine Liebeserklärung bekam. Aber dass sie jetzt innerhalb ihres Jobs auf diesen exaltierten Auftritt reagierte, irritierte Paula.
Als ahnte Chris ihre Gedanken, beendete sie die Geschichte damit, dass sie von sich aus nach Paulas Hinweis keinen Zusammenhang mehr zwischen dem Jogger und dem Mordfall gesehen hätte, dass Professor Bach da aber anderer Meinung sei und sie deswegen hier zusammengekommen seien. »Es gibt eben Dinge, die sieht man nicht, wenn man keine lange Erfahrung hat.« Sie deutete mit einer Handbewegung auf Bach, ohne Paula dabei auszuschließen.
Paula war neugierig auf Bachs Begründung. Was könnte Bach daraus machen, dass dieser Heiliger sich ihrer Freundin auf unkonventionelle, vielleicht auch rücksichtslose Art genähert hatte?
Bach schob seinen Schreibtischsessel ein Stück zurück, als bräuchte er mehr Raum. »So wie sich mir der Fall darstellt, nehme ich stark an, dass der Täter bei den Ermittlungen am Fundort anwesend war.« Er betrachtete Paula.
Er wartet, ob ich widerspreche, dachte sie, reagierte aber nicht. Was weiter?
»Was dieses Verbrechen kennzeichnet, ist die Mühe der Präsentation.« Er dozierte langsam und blickte so konzentriert, als wollte er das Raffinement des Täters dabei durchschauen. »Das habe ich noch nicht erlebt. Offenbar diente alles, was der Mörder tat, dieser öffentlichen Zurschaustellung - das Ausnutzen der Totenstarre, die schonende Behandlung der Leiche, das blaue Kleid, passend zur Augenfarbe, die Tauben und der
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