Im Himmel ist die Hölle los
»Ach, da haben wir es ja schon«, fuhr sie fort, wobei sie die Folie glattstrich und sich die Aufschrift genau ansah. »Jeremy Lloyd-Perkins, Newport Drive siebenundvierzig, Cardiff. Das sind Sie doch, oder?«
Langsam wie eine Puppe mit rostigen Gelenken im Nacken nickte der Schlafende. »Klar bin ich das. Aber das ist bestimmt nicht meine Mitteilung. Die müssen im Depot was verwechselt haben.«
Jane rümpfte die Nase. »Sie scheinen ja eine Menge über diese Dinge zu wissen«, sagte sie. »Für einen Menschen, meine ich.«
»Seit fünf Jahren bin ich jetzt Abonnent«, entgegnete der Schlafende, und Jane fiel auf, wie wenig sich die Lippen beim Sprechen bewegten. »Eigentlich sollte ich mich inzwischen daran gewöhnt haben, denke ich. Trotzdem ist das alles ein bißchen mager, wenn Sie mich fragen. Erst letzten Monat habe ich einen heißen Tip zur Ausgabe von Bezugsscheinen der Beaconsfield International erwartet und nichts weiter als den blödsinnigen Ratschlag erhalten, irgendeine Schiffsreise mit der Lusitania abzusagen. Ich will ja nicht schwierig erscheinen, aber wenn man sich nicht einmal mehr auf seine übernatürlichen Ratgeber verlassen kann, ist es wirklich schwer, eine langfristige Investitionsstrategie zu planen.«
»Mhm.«
»Betrachten Sie das Ganze doch mal mit den Augen des anderen, also des eigentlichen Empfängers dieser Träume«, fuhr der Schlafende fort, wobei er leicht nach vorne und nach hinten schwankte. »Ich meine, irgendwo befindet sich so ein armes Schwein, das mit dieser komischen Angelegenheit über die Iden des März konfrontiert wird und mit nichts anderem gewappnet ist als mit einem Einblick in die Aktienkurse aus der Financial Times vom achtzehnten September. Wissen Sie, der gerät womöglich in ernste Schwierigkeiten.«
»Tut mir leid, aber ich kann wirklich nichts dafür«, rechtfertigte sich Jane entmutigt.
Ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, gelang es dem Schlafenden außerordentlich gut, den Eindruck einer ungeduldigen Geste zu vermitteln. »Das ist ja alles gut und schön«, entgegnete er, »nützt mir aber überhaupt nichts, und ich glaube, der bedauernswerte Narr, der auf der Lusitania mitgefahren ist, wird darüber auch nicht viel erfreuter sein. Allerdings hat er die Genugtuung zu wissen, daß er, wenn er nicht ertrunken wäre, im Handelswesen Anfang dieses Jahrhunderts einige Mißstände hätte bereinigen können.«
Jane zuckte die Achseln. »Nach meiner Rückkehr ins Hauptquartier werde ich es den Verantwortlichen mitteilen, aber das ist leider alles, was ich tun kann.«
»O nein, das werden Sie nicht!« widersprach der Schlafende entschieden, dessen rechte Hand plötzlich vorschnellte und Jane am Unterarm packte. »Bevor ich nicht meinen Traum bekommen habe, werden Sie nirgendwo hingehen. Und versuchen Sie nicht, sich zu wehren, sonst wache ich auf.«
Zwar spürte Jane, wie ihr die Kinnlade herunterklappte, aber sie sah keinen Sinn darin, sich zu wehren. Wenn man in der Falle sitzt, sitzt man in der Falle.
»Sie tun mir weh«, klärte sie den Schlafenden auf.
Der grinste nur höhnisch. »Erzählen Sie mir das, wenn ich wach bin«, erwiderte er.
»Seien Sie doch fair«, bat Jane flehentlich. »Wie soll ich Ihnen denn Ihren Traum besorgen, wenn Sie mich nicht gehen lassen?«
Der Schlafende lachte durch die Nase. »Das ist nicht mein Problem. Vergessen Sie nicht, ich schlafe und bin nicht in der Lage, für Sie das Denken zu übernehmen. Bringen Sie die Sache in Ordnung, oder es gibt Ärger.«
»Ich verstehe«, lenkte Jane wütend ein, und in ihrem Ton lag eine Schärfe, mit der man sich hätte rasieren können. »In dem Fall werde ich sehen, was ich tun kann.«
Mit der freien Hand angelte sie eine andere, x-beliebige Kapsel heraus, riß die Metallfolie auf und steckte sie sich zwischen die Zähne, während sie die Spritze hervorholte. Sie zog die Spritze auf, wobei sie mit einer gewissen grausamen Genugtuung die Art des Inhalts bemerkte. »Sie möchten einen anderen Traum haben, Mister Lloyd-Perkins, also sollen Sie auch einen bekommen.«
Schnell wie ein Blitz, der noch den Bus erwischen will, trieb sie den Kolben ganz nach unten, und kurz funkelte die durchsichtige Traumwurst auf, als sie sich ins Ohr hineinschlängelte. Der Schlafende zuckte heftig zusammen und ließ wie betäubt das Handgelenk los. Jane hechtete zum Fenster, wobei sie sich gerade noch rechtzeitig daran erinnerte, ihm einen finsteren Blick zuzuwerfen. Das Fenster öffnete
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