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Im Himmel ist die Hölle los

Im Himmel ist die Hölle los

Titel: Im Himmel ist die Hölle los Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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großen Glorienschein aus Lärm und Vibrationen wie eine Trockenhaube trug, sah es wie ein gewaltiger Tausendfüßler mit leuchtfarbenen Strümpfen aus. Je genauer man hinsah, desto weniger konnte man eigentlich erkennen. Alles schien in ein einziges Kontinuum aus glitzernden roten und weißen Lichtern zu verlaufen.
    Sie schaltete ihr Bordmikrofon ein. »Das ist sehr hübsch«, sagte sie. »Was ist das?«
    In ihrem Kopfhörer hallte das Gelächter des Hubschrauberpiloten hin und her. »Das ist der Hauptabschnitt der Renaissance-Umgehungsstraße zwischen den Kreuzungen sechzehn und siebzehn«, antwortete er. »Möchten Sie mal einen genaueren Blick darauf werfen?«
    »Ja, in Ordnung«, stimmte Jane zu, und der Hubschrauber verlor langsam an Höhe. Als sie näher herankamen, wurde das Kontinuum geringfügig weniger kontinuierlich. Es sah weniger wie ein optisches Glasfaserkabel mit Verdauungsstörungen aus, sondern eher wie ein Schema aus Millionen winziger Lichtpunkte, die sich alle dicht hintereinander befanden und sich derart langsam fortbewegten, daß man ganz genau hinsehen mußte, um überhaupt eine Bewegung wahrzunehmen.
    »Sehr schön«, meinte Jane. »Das ist ein Verkehrsstau.«
    »Beinahe, aber nicht ganz«, entgegnete der Pilot. »Ich gehe näher ran.«
    Sie flogen noch tiefer, und die Millionen winziger Lichtpunkte lösten sich wie ein Zeitungsfoto unter einem äußerst starken Vergrößerungsglas in verschwommene, aber eindeutig erkennbare Formen auf. Sie erinnerten Jane an etwas – an Personenwagen, um genau zu sein, und an Lkws und Motorräder und Lieferwagen –, aber das waren nur äußere Ähnlichkeiten. Um Fahrzeuge handelte es sich zweifellos, aber damit hörten die Gemeinsamkeiten auch auf.
    »Was sind das da für Dinger?« fragte Jane.
    »Das sind Leben«, antwortete der Pilot. »Nein, das ist nicht ganz richtig. Wenn wir völlig fachmännisch und korrekt sein wollen, handelt es sich hierbei um Präsente.«
    »Um Präsente?«
    »Richtig. Und bevor Sie sich fragen, wo das Geschenkpapier für alle diese Präsente ist, unter Präsenten verstehen wir präsente, also gegenwärtige Leben, im Gegensatz zu vergangenen oder zukünftigen Leben.«
    Jane runzelte die Stirn. »Ich glaube, das ist mir etwas zu …«
    »Na ja, das kann ich durchaus verstehen«, fiel ihr der Pilot ins Wort. »Ich meine, schließlich sind Sie ja selbst irgendwo da unten. Jedenfalls ein Teil von Ihnen.«
    »Mhm.«
    Jetzt flogen sie so tief, daß jede Einzelheit deutlich von der Masse zu unterscheiden war, auch wenn nichts so aussah wie irgend etwas, das Jane je zuvor gesehen hatte. Versuchen Sie, sich einen dieser alten Heinkel-Kabinenroller vorzustellen, der plötzlich zum Leben erwacht, dann sind Sie vielleicht in der Lage, in einen Winkel desselben Bezugssystems zu schlüpfen.
    »Sehen Sie das Schild da vorne?« fragte der Pilot. »Das ist ein Anhaltspunkt für Sie.«
    Jane spähte nach vorne. Trotz der tiefen Finsternis über sich konnte sie in Bodenhöhe dank des Lichts, das von den präsenten Leben ausging, ganz gut sehen. Dort war tatsächlich ein Schild, das große Ähnlichkeit mit einem Straßenschild hatte.
    »Ich kann nicht genau …«
    Und dann konnte sie es. Es war ein unangenehmer Moment. Auf dem Schild stand:
     
    DIE ZEITABTEILUNG INFORMIERT:
    SCHNELLSTRASSE Z49
    VON DER SCHÖPFUNG ZUM JÜNGSTEN GERICHT
    RENAISSANCE-UMGEHUNG AB SOFORT GEÖFFNET!
    EIN WEITERES JAHRHUNDERT VORZEITIG ABGESCHLOSSEN
    DURCH IHRE ZEITSCHINDER GMBH
     
    Auf Janes Bitte hin stieg der Hubschrauber höher, bis sich wieder das Kontinuum einstellte und die einzelnen Lichtpunkte abermals mit dem allgemeinen Strom verschmolzen.
    »Das ist einer der guten Abschnitte«, erklärte der Pilot gerade. »Der Abschnitt, den sie in den Berichten vorzeigen. Weiter hinten, wo das ganze Scheißding kaputtgeht, sieht es nicht so hübsch aus.«
    »Mhm.«
    »Das Ganze soll, na ja, kontinuierlich sein«, fuhr der Pilot fort. »Die Zeit, wie ein ewig fließender Strom und so weiter. So lautet die Theorie.«
    Jane mußte schwer schlucken und versuchte sich einzureden, daß die Übelkeit im Magen etwas mit dem Hin- und Herschaukeln des Hubschraubers in der Thermik zu tun hatte. »Ich verstehe«, log sie.
    »Natürlich funktioniert das so nicht«, fuhr der Pilot unbarmherzig fort. »Ich meine, allmählich entwickelt sich das Ganze immer mehr zu einem Witz. Wenn mal eine ganze Fahrbahn nicht mit Pylonen abgesperrt ist, weil gerade die Membrane des

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