Im Himmel ist die Hölle los

Raum-Zeit-Kontinuums repariert werden muß, dann wegen der Erneuerung der Straßendecke; und das bedeutet natürlich Gegenverkehr.«
    »Gegenverkehr?« wiederholte Jane.
    »Ja, eine furchtbare Geschichte ist das«, bekräftigte der Pilot mit einem Kopfnicken. »Direkt da vorne, zwischen den Einmündungen neunzehn und zwanzig, haben die alle fünf Spuren der Fahrbahn Richtung Vergangenheit auf den Seitenstreifen der Fahrbahn Richtung Zukunft gelegt, und das soll dann deren Ansicht nach funktionieren.« Der Pilot nahm eine Hand vom Steuerknüppel, suchte in seiner Tasche herum und fand einen Kaugummistreifen. »Daß es da zu Staus kommt, ist kein Wunder«, sagte er.
    »Zu Staus in der Zeit?«
    »Ja, und die können einen richtig auf die Palme bringen«, pflichtete ihr der Pilot bei. »Ganz zu schweigen von der Verwirrung, die sie stiften. Ich meine, da schiebt man sich still und unauffällig auf seiner Bahn durch die ersten Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts voran, wirft einen Blick über die Schulter und sieht plötzlich innen diese ganzen Typen mit Blousons, ausgestellten Jeans und Status-Quo-T-Shirts an sich vorbeiflitzen. Daß da einige ausflippen und versuchen, auf die anderen Spuren hinüberzuwechseln, wundert mich überhaupt nicht.« Direkt unter der Tankuhr flammte ein rotes Lämpchen auf und fing beunruhigend zu blinken an. Der Pilot griff sich mit den Fingern in den Mund, streckte die Hand aus und klebte einen Klumpen Kaugummi über das Lämpchen. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wofür diese Lampe da ist«, merkte er an. »Im Bedienungshandbuch heißt es dazu einfach ›Notfall‹.«
    Jane öffnete die Augen – irgendwie hatten sie sich geschlossen – und raffte sich dazu auf, einen Blick nach unten zu werfen. Es war wie … die reinste Hölle; und es hatte auch keinen Sinn zu versuchen, sich mit Vergleichen selbst etwas vorzumachen. Jetzt, da sie tatsächlich wußte, worum es sich hierbei handelte, war mit dem Versuch, es mit etwas zu vergleichen, das es eindeutig nicht war, wirklich nicht viel zu erreichen.
    »Spielen sich denn diese Staus wirklich in der Zeit ab?« erkundigte sie sich hartnäckig.
    Der Pilot gluckste vor Lachen. »Ich wette, Sie haben geglaubt, die Zeit laufe immer mit der gleichen Geschwindigkeit ab, wie? Tja, jetzt wissen Sie jedenfalls Bescheid.«
    Jane spürte, wie ihr die Kinnlade herunterklappte, als wäre es jemandem gelungen, dort sämtliche Knochen herauszureißen, ohne daß sie auch nur das geringste gespürt hätte. »Tut sie das etwa nicht?« hakte sie ungläubig nach.
    »Natürlich nicht«, antwortete der Pilot. »Ich meine, eigentlich sollte es so sein, klar; dazu sind ja die Geschwindigkeitsbegrenzungen da. Aber beachtet die irgend jemand? Einen Teufel tun die. Und so was nennen die nun Fortschritt!«
    Jane versuchte zwar, daraus schlau zu werden, aber ihr Verstand bekam das Thema nicht in den Griff. »Meinen Sie damit, daß es früher mal anders war?« traute sie sich schließlich zu fragen.
    »Nein«, erwiderte der Pilot. »Fortschritt nennen die das. Das ist die Bezeichnung, die sie dafür gebrauchen. Manchmal nennen sie es auch Neuerung oder die unaufhaltsame Kraft soziokultureller Entwicklung. Damit meinen sie, daß irgendein mit der Lichthupe blinkendes Arschloch in einem frisierten Rennschlitten mit hundertsechzig Sachen über die Überholspur brettert. Wenn das passiert, wird dadurch fast alles über den Haufen geworfen, das kann ich Ihnen laut sagen.«
    »Ähm …«
    »Das heißt, wenn er sich auf einer der Spuren in Richtung Vergangenheit befindet, weil er dann von der Zukunft in die Vergangenheit fährt«, fügte der Pilot im Plauderton hinzu. »Befindet er sich auf der anderen Straßenseite, dann ist er natürlich ein fanatischer Reaktionär, der versucht, die Uhren zurückzudrehen. Für beide Richtungen gilt: Wenn er erwischt wird, verliert er automatisch den Führerschein, und das ist auch verdammt gut so.«
    Der ruhige, unerschütterliche Teil von Janes Verstand wählte die erforderlichen Worte aus, mit denen sie den Piloten bitten wollte, ihr zu bestätigen, daß es für Menschen möglich sei, von der Zukunft in die Vergangenheit zu reisen. Der Rest ihres Gehirns schaltete das Licht aus, verriegelte die Türen hinter sich und ging einen Kaffee trinken. Sie schloß die Augen, aber das half offenbar nicht.
    »Können wir mal was klären?« begann Jane vorsichtig. »Es gibt also Menschen, die sich von der Vergangenheit in die Zukunft bewegen, ja.