Im Informationszeitalter
wurde er als einer der bekanntesten polnischen Literaten häufig staatlich ausgezeichnet. Rottensteiner stellt zur Rezeption Lems in Polen fest, daß er zwar in Millionenauflage gelesen, aber von der Literaturkritik übersehen wird. Er gilt als Außerseiter, da er sich nie politisch festlegte.
In den siebziger Jahren bildet sich in der BRD eine treue Fangemeinde, die nicht zum großen Teil aus typischen SF-Lesern besteht. Nach Polen sind Deutschland und Rußland die größten Absatzmärkte für Lems Werke, wobei das Interesse der deutschen Leser bis zur Gegenwart anhält und sich auch auf die theoretischen Schriften überträgt 25 . Ignoriert durch den sowjetischen Schriftstellerverband erhielt Lem doch große Anerkennung durch die Öffentlichkeit in der ehemaligen Sowjetunion; er unterhielt zudem Kontakt mit sowjetischen Kosmonauten wie German Titow. Einige kritische Romane und besonders das gesamte Spätwerk erschien nicht mehr in Russisch (zum Beispiel der “Kongreß”); man war interessiert an den Weltraumgeschichten, die mit der russischen Begeisterung für Raumfahrt in dieser Zeit einhergehen. Die französische Rezeption setzte erst viel später ein (nach der ersten Übersetzung von 1962). Die Reaktionen sind positiv, doch bleibt die Kritik kurz und oberflächlich.
Die englische 26 und amerikanische Rezeption ist noch in den Anfängen; die Amerikaner tun sich schwer mit den experimentiellen Werken, die so sehr im Widerspruch zur eigenen ausgeprägten Tradition stehen. Das amerikanische Interesse an den formalen Variationen war und ist nur gering, in dieser Beziehung steht Lem den Trends in Europa näher 27 . Leslie Fiedler, Ursula LeGuin, Sturgeon, Solotaroff, John Updike und Kurt Vonnegut äußern sich alle sehr positiv zu Lem, können ihn aber dadurch nicht publik machen; zudem wurde er nach kurzer Zeit aus der SFWA (Science Fiction Writers of America), deren kurzzeitiges Ehrenmitglied Lem war, wieder ausgestoßen 28 . Schließlich bekam Lem auch auf dem amerikanischen Markt Anerkennung durch Updikes Features im “New Yorker ” 1979 und 1980. Zwei Tatsachen hindern ihn am endgültigen Durchbruch: er ist ausländischer Schriftsteller und schreibt zudem SF 68 . Wie eingangs in den Materialien angegeben, beschränkt sich die Literaturkritik zu Amery vorwiegend auf die dort angegebenen Titel. Es dürfte schwierig sein, die zum Teil in Mundart geschriebenen Romane in eine fremde Sprache zu übertragen, so daß auch ein Auslandserfolg wie bei Lem nicht zu erwarten ist. Amery setzt andere Schwerpunkte in seiner Kritik an der literarischen Produktion: “Es ist der juristische Apparat, der hinter dem Begriff des Streitwertes steht.” (Amery 1967, S. 106-107). Amery bemängelt, daß der Einfluß der juristischen Abteilung eines Verlages die entscheidenden kritischen Aussagen verhindert. “Bereits heute sind nur noch zensurähnliche Maßnahmen zu treffen, wenn das alte Tabu mit neuen materiellen Interessen zusammenarbeiten kann.” (ebd., S. 107). So ist es nach Amery unproblematisch, immer wieder Gott in der Literatur sterben zu lassen, aber die Kritik an Produktionsverhältnissen der Industrie, wie sie Max von der Grün verfaßte, kann ein juristisches Veto mit sich bringen.
Zusammenfassend bemerkt Ulrike Gottwald: “SF als Literatur wird in Zukunft wohl nur reihenunabhängig und ohne Kennzeichnung als SF geschrieben und verlegt werden können.” (Gottwald 1990, S. 191) Ob sich ihre resignierende Prognose erfüllen wird, kann hier nicht geklärt werden; in den letzten fünf Jahren hat sich an den beschriebenen Zuständen wenig geändert.
2. 5. Eine Zwischenbilanz: Spielregeln und Motive der SF
Die Vielzahl der verschiedenen Ansätze zur Definition des Begriffes SF führt letzlich weniger zur Klärung des Begriffes, als zu einer Verunsicherung. Letztlich kann man nur wiederholen: eine Definition mit umfassender Gültigkeit gibt es noch nicht.
Die verschiedenen Ansätze sind aber in der Hinsicht nützlich, daß sie anzeigen, in welche Richtungen bereits gedacht wurde. Auffällig ist die (wenig beachtete) Uneinigkeit der Theoretiker, auf welcher
Basis sie diskutieren: ist SF eine Gattung, eine ästhetische Kategorie, oder beides?
Eine Untersuchung der Gattung, wie der Strukturalist Todorov sie durchführt (vgl. 2.1.1.), indem er die von ihm aufgestellte Hypothese experimentiell anhand einer begrenzten Anzahl von Werken belegen will, um seine Untersuchungsergebnisse durch weitere Werke zu belegen,
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