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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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mit anderen sprechen können, sind wir Besitzer des “Verstandes”, aber wenn wir mit den Sinnen die Welt nicht mehr erkennen können, müssen wir dies entweder mittels der Vermutung oder schärfer und eindeutiger durch die auf Experimenten beruhende Mathematik bewerkstelligen. Man könnte sagen, dass unser tierischer Verstand in sich konstruierte “Schößlinge” ausspinnt und aus deren intuitiv-formaler “Bearbeitung” unser Wissen über die Makro- und Mikrowelt von den Galaxien bis zu den Atomen entsteht. Dadurch erreichten wir gemeinsam auf der
    Informationsebene des Affen oder des Tigers “höhere Stockwerke” der Generalisierung, die als “Naturgesetze” gelten. Sie stellen unser Wissen dar, das im Lauf der Geschichte so veränderlich wie ein Film ist, der vor Jahrtausenden langsam abgespielt wurde und gegenwärtig so beschleunigt wird, dass das “gestrige Wissen” dadurch oft ungültig wird. Der Verstand also erzeugt für uns das Wissen, das sich kontinuierlich durch Fachgebiete verzweigt. Der “Verstand” schafft eine Unmenge von “Sachen” oder “Wirklichkeiten” (ein Tisch aus Holz ist ja auch ein Tisch aus Elektronen, ersteren verstehen wir aus Erfahrung, das Zweite aus “theorieähnlichen Vermittlungen”). Philosophie ist dagegen eine Brutstätte von Hypothesen, wie dies vor sich geht und wie dies der Verstand macht. Man kann hinzufügen, dass die Leistungsfähigkeit und die Reichweite des “Verstandes” in der menschlichen Population ungleichmäßig verteilt sind. Grob könnte man sagen, dass für einige Menschen die Mathematizität der Welt selbstverständlich ist, da sie über eine für solche Diagnosen gute Ausstattung mit entsprechenden Gehirn-Konstruktionsmodulen    (Subaggregaten)
    verfügen, andere dagegen können die hohen Konstrukte der mathematischen Verzweigungen nicht hochklettern, weil es ihnen dafür an den nötigen Begabungen fehlt. Ein Mathematiker braucht freilich nicht zu wissen, wie er das macht, ähnlich wie kein Nichtwissenschaftler weiß, wie er springen, schwimmen und klettern kann.
    Gegenwärtig können wir uns, da wir über keinen “maschinellen Verstand” verfügen, lediglich auf verschiedene Simulationen stützen, die in den Computern genau nach von uns mittels des Verstandes geschaffenen Programmen konstituiert werden. So erfahren wir z.B., wie der Zustand des Weltalls in 100
    Milliarden Jahren sein wird, falls die den Programmen zugrundeliegenden Daten “richtig” in die Wirklichkeit eingewurzelt sind. Meistens bewegt sich die “Maschine unseres Wissens”, die die    Informationsdaten
    verarbeitet, expansiv in Richtung Überprüfung der “veristischen Tragfähigkeit” der    auf    diese    Weise
    entstehenden Wissensfragmente,    die    nicht    direkt
    sinnlich zugänglich sind, und    wir    haben    keine
    Sicherheit, ob irgendwann Maschinen-Demiurgen entstehen, die weitere Generationen von Demiurgen gebären werden. Zur Zeit scheint dies eine Leiter zu sein, die dem Turm von Babel vergleichbar ist, und wir befinden lediglich auf deren erster Sprosse … Geschrieben im November 1997
    Stanislaw Lem 03.11.1999 Von einer befreiten Evolution
    Von vornherein möchte ich die Warnung aussprechen, dass ich über schwierige, völlig experimentelle und nicht verifizierbare Dinge sprechen werde. Ich werde über das sprechen, was für die informatische Evolutionstheorie die Domäne der empirischen Überprüfungen werden könnte. Dieses Wissensgebiet wird ähnlich komplex und fortgeschritten sein, wie es beispielsweise der modernste Computer im Vergleich zu einem einfachen, aber perfekten Automaten (also einer Turing-Maschine) ist. Übrigens halte ich in Wahrheit die Unterschiede auf einer Komplexitätsskala für noch größer, und trotzdem gibt es den Hauch einer Analogie.
    Um mindestens die Vorstellbarkeit dessen, worüber ich sprechen möchte, ein wenig zu erhöhen, berufe ich mich auf ein Beispiel aus einem Gebiet, das jedem, der auf der Schule war, bekannt ist - nämlich auf die Geographie. In dem alten Atlas von E. Romer, der am Gymnasium zu meinen Handbüchern gehörte, wurden dieselben “Bereiche” der Erdoberfläche, die jedoch in unterschiedlichen Skalen veranschaulicht waren, nebeneinander dargestellt. Es war die Zeit, als man schon wußte, daß die Erde rund ist, aber man konnte das nicht so sehen, wie man dies jetzt auf verschiedenen Fotos kann, die von orbitalen, über der Atmosphäre im Weltraum

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