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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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das alles nahm Tubber zunächst überhaupt nicht wahr. Er hatte geglaubt, ihn könnte nach den Erlebnissen dieses Tages nichts mehr erschüttern; nun wurde er eines Besseren belehrt. Vom Auto aus hatte er anfangs nur gesehen, dass die Straße in ein unwirkliches, grelles Licht getaucht war, dessen Ursprung er sich nicht erklären konnte. Dann, als er ausstieg und sich seine Augen an die gleißende Helligkeit gewöhnten, stockte ihm der Atem von dem, was er sah: Drei Dutzend Männer in zerfetzten deutschen Wehrmachtsuniformen standen um eine Feldküche versammelt. Sie hatten giftgrüne oder kalkweiße Gesichter, auf denen tiefrote Adern hervortraten. Ihre Lippen waren schwarz, und manchen schien das Fleisch am Kopf zu faulen.
Vor Entsetzen stand Tubber wie erstarrt und brachte keinen Laut heraus. Doch der Schrecken verflog fast augenblicklich wieder, als er sah, was sich gleich neben dieser gespenstischen Versammlung abspielte. Er erkannte einen Kameramann, der die Kassette mit belichtetem Material von seiner Filmkamera löste; andere Leute waren damit beschäftigt, einen Mikrofongalgen zu demontieren und Stromkabel einzurollen. Über allem schwebte ein Mann, der durch eine übergroße Flüstertüte sämtlichen Anwesenden überschwänglich für die perfekten Leistungen dieses Tages dankte und sich dadurch als Regisseur zu erkennen gab. Er befand sich in einem Metallgitterkorb am Ende eines langen, mit Gelenken versehenen hydraulischen Kranauslegers, der auf einem Lastwagen montiert war und in früheren Jahrzehnten vermutlich zur Wartung besonders hoher Straßenlaternen gedient hatte.
Langsam senkte sich der Korb, bis der Boden nah genug war und der Regisseur hinaussprang. Er ging zwischen den Umstehenden hindurch, euphorisch Lob nach allen Seiten verteilend. Unversehens stand er auch vor Tubber, ergriff die Hand des Engländers und schüttelte sie schwungvoll. »Sie waren großartig!«, versicherte er gleich mehrmals.
»Ich gehöre überhaupt nicht zu ihrem Filmteam«, widersprach Tubber befremdet.
Doch das konnte den Regisseur mit dem dünnen Menjou-Bärtchen nicht erschüttern.
»Dann versäumen Sie etwas, Mister«, beteuerte er begeistert. »Denn alle diese Menschen hier werden sich bald mit Fug und Recht rühmen können, mit mir, Edward D. Wood Junior, an einem der umwälzendsten Filme in der Geschichte dieser Kunstform mitgewirkt zu haben!«
»Und welcher Film soll das sein?«, frage Tubber, wobei er seine Hand zurückzuziehen versuchte.
»Es handelt sich um ...«Wood legte eine Kunstpause ein, um den dramatischen Effekt seiner Worte zu steigern, bevor er voller Stolz verkündete: »Angriff der Nazi-Zombies aus dem Weltall!«
»Nazi-Zombies?« Tubber, der seine Hand endlich dem Griff seines Gegenübers entwunden hatte, starrte den Regisseur ungläubig an.
Wood bejahte lebhaft. »Ganz recht! Idee und Drehbuch stammen von niemand anderem als mir selbst. Finanziert wird dieses einzigartige filmische Meisterwerk von einem patriotischen Frauenverband in Pennsylvania, den Daughters of 1776 .
Natürlich habe ich meinen Geldgeberinnen vorher nicht zu viel über Inhalt und Handlung verraten. Aber ich habe ihnen den unvergleichlichsten Film, der je gedreht wurde, versprochen – und Ed Wood hält seine Versprechen! So etwas hat noch niemand vorher auf die Leinwand gebracht.«
»Das glaube ich Ihnen gerne«, meinte Tubber mit skeptischem Blick auf die absurd kostümierten Statisten an der Feldküche.
Wood packte einen gerade vorbeikommenden Uniformierten am Ärmel. »Ich würde Sie gerne mit meinem Hauptdarsteller bekannt machen. Dies ist der Star meines Films, Mr. Fröbe.«
Der Schauspieler, ein erschreckend magerer Mann, der sich in einer viel zu großen Generalsuniform verlor und dessen Gesichtszüge durch eine dilettantisch gestaltete Totenkopfmaske vollständig überdeckt wurden, deutete mit einem wortlosen Kopfnicken einen eiligen Gruß an und ging dann schnell weiter, um sich einen Teller Suppe zu sichern. »So etwas habe ich wirklich noch nie gesehen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg«, ließ Tubber den Regisseur wissen und wandte sich rasch zum Gehen.
»Den werde ich haben«, rief ihm Wood selbstbewusst nach. »Verlassen Sie sich darauf, dieser Film wird Geschichte machen!«
Gleich zweifach war Tubber angenehm überrascht. Ein Grund war die Wohnung im zweiten Stock, denn nachdem er sich schon an den Gedanken gewöhnt hatte, dass alle Deutschen ausnahmslos in verfallenen Ruinen hausen, wurde er jetzt eines Besseren

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