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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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verdient. Ihre Freundin kann mich ja zu den Sherman Barracks bringen.«
Er schwieg einige Sekunden lang, ohne die Augen von Greta abzuwenden, ehe er nochmals bekräftigte: »Ich werde sie aufhalten. Die Amerikaner werden die ganze Bande in Pirna dingfest machen und dann ausquetschen, bis sie genug wissen, um die Organisation zu zerschlagen. Da fällt mir ein ... wo liegt dieses Pirna überhaupt?«
»Irgendwo hinter Dresden, an der Elbe, soweit ich mich erinnere«, meinte Greta.
»Chantal hat immer einen Straßenatlas im Handschuhfach. Schauen Sie einfach nach.«
Tubber tat es und holte einen durch viele Knicke verunzierten Autoatlas des Bundes Deutscher Länder hervor, dem Aufdruck auf dem abgestoßenen Pappeinband zufolge elf Jahre zuvor vom Signal Corps der U.S. Army herausgegeben und nur zum dienstlichen Gebrauch zugelassen. Nach kurzem Blättern stellte sich heraus, dass Gretas Angabe zutraf. Die kleine Stadt Pirna befand sich elbaufwärts von dem, was einmal Dresden gewesen war. Gleich südlich des Ortes verlief auf der Karte eine unübersehbare mattrote Linie und markierte den Beginn des Anthrax-Sperrgebiets. Tubber konnte sich nicht erklären, weshalb die Nazis ausgerechnet einen Sammelpunkt so dicht an der milzbrandverseuchten Zone gewählt hatten.
Und ihm war auch nicht danach, sich über diese Frage den Kopf zu zerbrechen.
Um Pirna auf der Karte zu markieren, griff er in die Manteltasche, wo er einen Bleistift bei sich trug. Als aber seine Finger nach dem Stift tasteten, erfühlten sie das Metallplättchen, das ihn am Kopf getroffen hatte und dessen Existenz ihm schon lange wieder entfallen war. Nun holte er es heraus und betrachtete es bei Licht.
Zu seiner Verwunderung handelte es sich um eine kleine Silbermünze mit unregelmäßigem Rand. Von antiken Münzen hatte Tubber einige oberflächliche Kenntnisse, doch diese hier stammte wohl eher aus dem Mittelalter. Ihre Vorderseite zeigte die grobe, kaum erkennbare Darstellung eines Menschen, der in jeder Hand ein riesiges Eichenblatt zu halten schien, und auf ihrer Rückseite befand sich eine Art Rose, gebildet aus sechs Kleeblättern. Sie war abgegriffen und offensichtlich schon durch viele Hände gegangen, doch im Freien oder in der Erde hatte sie wohl nicht gelegen, da kein Dreck an ihr haftete. Natürlich musste ein Vogel die Münze fallen gelassen haben, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Doch auf welchen seltsamen Wegen sie denn in den Schnabel dieses Vogels geraten war, blieb für Tubber unerklärlich.
Er brachte sie in seiner Brieftasche unter, nahm dann den Bleistift zur Hand und zog einen dicken Kringel um den Ortsnamen Pirna auf der Straßenkarte.
     

14. März, Berlin
    Es war bereits hell, als Greta Donath und John Tubber in der Bolivarallee eintrafen.
Das Filmteam des absonderlichen amerikanischen Regisseurs war gerade dabei, die Kulissen für die bevorstehenden Dreharbeiten aufzubauen. Als Tubber aus dem Wagen stieg, bemerkte er etwas abseits ein auf Räder gesetztes, grau angestrichenes und mit schwarz-weißen Balkenkreuzen versehenes Ungetüm aus Sperrholz und Pappe, das wohl einen deutschen Panzer verkörpern sollte. Der Anblick des armseligen Gebildes ließ für eine Sekunde ein mitleidiges Lächeln über sein Gesicht ziehen, ehe er im Hauseingang verschwand.
Er hastete mit Greta die Treppe hinauf, wobei sie mit jedem Schritt drei Stufen überwanden. Falls Dünnbrot noch nicht wach war, würde er ihn eigenhändig aus dem Bett zerren, ganz gleich, ob der Polizist dort alleine oder in Gesellschaft lag.
Überflüssige Verzögerungen durfte es jetzt, wo es vielleicht um jeden Augenblick ging, nicht mehr geben.
Kaum dass Greta die Tür aufgeschlossen hatte, stürmte er schon in die Wohnung und rief nach Dünnbrot. Aber er bekam keine Antwort. Es war niemand da.
»Zum Teufel, wo sind die?«, fragte er irritiert, nachdem er in jedes Zimmer geschaut hatte und nun ratlos auf dem Flur stand.
»Lange können sie nicht fort sein«, hörte er Greta aus der Küche. »Die Kaffeekanne ist noch ganz warm.« »Gut beobachtet. Aber wir können nicht warten, bis die zwei irgendwann wieder hier aufkreuzen. Fahren Sie mich zum amerikanischen Hauptquartier? Sie wissen, wie dringend es ist.«
Greta kam, ein Stück farbloses Army-Toastbrot kauend, aus der Küche. »Ich könnte zwar Schlaf brauchen, aber Sie haben recht, John«, meinte sie mit vollem Mund. »Machen wir uns auf den Weg.«
Greta öffnete die Wohnungstür und sah sich zwei britischen

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