Im Keller
und einiges, das ihn im Moment nicht interessierte.
Immerhin ging ihm jetzt auf, von wem all die eigenartigen Sammlerstücke stammten - nicht von Clemens, sondern von seiner Mutter. Sie musste sie irgendwann nach Clemens Verschwinden in dem feuchtkalten Raum versteckt haben. Warum?
Auf dem Grund des Kartons stieß Arthur schließlich a uf das, was Benno als eine ,Art Tagebuch‘ bezeichnet hatte: eine ziemlich dicke Kladde im Din-A5-Format, eingebunden zwischen stabilen Pappdeckeln in noch nicht verblichenem, kräftigem Tannengrün und grauem Rücken.
Wessen Tagebuch mochte das sein? Dumme Frage! Clemens Kirchfelds sicher nicht! Ein ewig betrunkener Weiberheld hatte wohl weder die Zeit noch die Gehirnzellen, um Tagebuch zu schreiben!
Also konnte es nur von seiner Mutter stammen. Arthur holte die Kladde aus der Kiste, blätte rte sie einmal quer durch und dachte nur: Scheiße. Erstens gab es nirgendwo ein Datum, und zweitens hatte die gute Frau eine Klaue wie eine Rechtshänderin, die mit links zu schreiben versucht! Altmodisch und krakelig.
Arthur fluchte noch ein bisschen vor sich hin, räumte den Krempel bis auf das dicke Heft wieder in den Karton, setzte sich an den Schreibtisch, schlug den Deckel auf und versuchte, den ersten Satz zu entziffern.
Ich will nicht mehr leben! Vielleicht fünfzig Mal der gleiche Satz: Ich will nicht mehr leben! Er füllte die ganze Seite. Das ging hoffentlich nicht so weiter! Arthur blätterte die Seite um, und nein, da stand etwas anderes.
Gott, wie kannst du mir Theo nehmen und mich am Leben lassen! Warum machst du das? Was habe ich denn getan? Welche Sünde habe ich begangen? Bitte Gott, sprich zu mir! Gib mir doch irgendeinen Trost! Ich flehe dich an! Ich ertrage das nicht! Ich fühle mich so elend, so allein!
Der Rest der Seite war freigeblieben. Immerhin konnte Arthur die Sache jetzt zeitlich einordnen. Carmen Elisabeth Kirchfeld musste mit den Eintragungen begonnen haben, kurz nachdem ihr Mann Theobald vom Herzinfarkt dahingerafft worden war. Vor ziemlich genau 30 Jahren.
Und auf einmal wurde Arthurs Interesse geweckt. Hatte sich Tante Carmen auch über die drei Babys und über das Verschwinden ihres Sohnes ausgelassen? Oder über die Fr age, wie ihr toter Sohn zwischen die Zeitungsstapel im Schlafzimmer geraten war?
Also las Arthur mit voller Konzentration weiter, und machte sich hin und wieder auf einem Block eigene Notizen.
Gott antwortet nicht, vielleicht hilfst du mir weiter, Theo. Es ist ja auch dein Sohn ... und ich muss dir sagen, obwohl du es sicher schon weißt: Clemens will nicht mehr in der Firma arbeiten, die du über Jahrzehnte aufgebaut hast! Es ist eine Schande, aber ich kann nichts tun! Er will nicht.
Clemens will weg aus der Stadt und aus unserem Haus. Zuerst war ich empört und hab mit ihm geschimpft, ob er denn wirklich alles kaputt machen will! Aber dann hat er mich mitg enommen zu dem kleinen Ort direkt an der Stadtgrenze und mir ein Fachwerkhaus mit großem Garten gezeigt, und ich war so begeistert, das glaubst du nicht!
Wir beide, Theo, kommen vom Land, und ich wollte immer dorthin zurück und Erdbeeren, Gemüse und Kartoffeln a npflanzen, weil ich es so liebe, die Dinge zu hegen und zu pflegen und sie wachsen zu sehen ... wie hoffentlich bald meine Enkel, die in dem großen Garten spielen können.
Clemens will die Firma an Martin verkaufen, und seien wir doch mal ehrlich, bei Martin ist sie in den allerbesten Händen. Für unser Haus in der Stadt hat er auch schon einen Käufer.
Arthur machte eine kurze Pause und schaute aus dem Fenster. Bisher hatte er noch nichts wirklich Neues gelesen, immerhin hatte er sich schneller als gedacht an Carmens Krakelschrift gewöhnt. Gerade wollte er aus Zeitgründen ein paar Abschnitte überspringen, als sein Blick erneut auf den Namen ,Martin‘ fiel. Martin Dornsiefer. Schon wieder.
Martin ist traurig, dass ich an den Stadtrand ziehe. Er hat sich wirklich lieb um mich gekü mmert in den letzten Monaten und manchmal denke ich sogar, er ist ein bisschen in mich alte Schachtel verliebt.
Aber ich schwöre dir, Theo, ich werde nie mehr einen anderen Mann angucken! Das schwöre ich bei Gott und allen Heiligen, die ich kenne!
Arthur las sich quer durch die nächsten Seiten, stieß aber erst einmal auf keinen Hinweis, dass Tante Carmen ihren Schwur gebrochen hatte. Allerdings wunderte er sich über die Idylle im Hause Kirchfeld.
Also ich finde es in Ordnung, dass Clemens mit seinen 27 Jahren noch bei mir
Weitere Kostenlose Bücher