Im Koma
interessiert. Er will dich. Und es ist ebenso klar, dass du ihn willst.«
»Ich bin mir nicht sicher, was ich will.«
»Hey, ich bin doch nicht blind. Ich hab den Kuss gesehen, den du ihm in der Küche gegeben hast.«
»Er hat mich geküsst. Ich bin komplett überrumpelt worden«, protestierte Casey.
»Vielleicht beim ersten Mal«, verbesserte Janine sie. »Aber nicht beim zweiten.«
Casey sagte nichts. Janine hatte beide Küsse gesehen? Hatte sie einen Röntgenblick? Oder war es bloß eine Vermutung?
»Mach den Mund zu«, erklärte Janine ihr, die Caseys Unbehagen offensichtlich genoss. »Sonst verschluckst du noch eine Fliege.«
»Und du hättest wirklich nichts dagegen, wenn ich mit ihm ausgehe?«
»Würde das eine Rolle spielen?«
»Ja«, beharrte Casey. »Natürlich würde das eine Rolle spielen.«
»Dann bist du dumm. Und wie du weißt, hasse ich dumm. Gott, was für ein grauenvoller Wein.« Sie nahm die Flasche zur Hand. »Wir könnten auf sechziger Jahre machen und sie als Kerzenständer benutzen.«
Es klopfte erneut.
»Sag mir nicht, dass sie ihn zurückhaben wollen.«
»Wer ist da?«, fragte Casey.
»Casey«, schluchzte eine vertraute Stimme.
»Drew?«, fragte Casey ungläubig. Sie rannte zur Tür und machte auf. Im Flur stand ihre sechzehnjährige Schwester mit verheulten, verquollenen Augen und tränenüberströmtem Gesicht. »Was machst du denn hier?«
»Ich wusste nicht, wohin ich sonst gehen sollte. Kann ich reinkommen?«
»Was? Natürlich kannst du reinkommen. Mein Gott, wie siehst du denn aus? Du bist ja völlig fertig.« Casey führte ihre Schwester zur Wohnzimmercouch, warf die hellgrünen Kissen auf den Boden, setzte sich neben sie und strich ihr eine verfilzte Strähne aus dem Gesicht. »Was ist los? Ich dachte, du bist in New York.«
»War ich auch. Ich bin übers Wochenende nach Hause gekommen.« Sie blickte zu Janine auf. »Du musst Janine sein. Tut mir leid, wenn ich hier einfach so reinplatze.«
Janine setzte sich zu ihnen aufs Sofa. »Das ist schon in Ordnung. Alles okay?«
Drew schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Was ist passiert?«
Drew wischte sich ein paar hartnäckige Tränen aus dem Gesicht. »Ich hasse diese blöde Schule, auf die Dad und Alana mich geschickt haben.«
»Aber die soll doch so gut sein«, sagte Casey. »Viel schöner als die, auf die ich gegangen bin.«
»Ich weiß. Es ist >die beste Privatschule des Landes<. Ich weiß, ich weiß. Aber ich hasse sie. Sie ist schrecklich. Alle sind so verdammt... eifrig.« Sie warfeinen Blick zu der Weinflasche in Janines Hand. »Kann ich einen Schluck haben?«
»Nein«, sagte Casey. »Falls es dir noch niemand gesagt hat, in Rhode Island darf man mit sechzehn noch keinen Alkohol trinken.«
»Komm schon, Casey.«
»Erzähl mir, was passiert ist.«
»Ich hab ein bisschen Ärger in der Schule«, sagte Drew nach einer kurzen Pause. »Was für Ärger?«
»Nichts Ernstes. Sie haben mich beim Kiffen auf dem Lehrerparkplatz erwischt.« »Beim Kiffen? Drew!«
»Casey, bitte. Erspar mir deine Moralpredigten. Ich bin müde. Ich war den ganzen Tag unterwegs.« Sie betrachtete ihre schmutzige Windjacke. »Gott, ich sehe furchtbar aus.«
»Was soll das heißen, du warst den ganzen Tag unterwegs? Wie bist du hergekommen?«
»Ich bin getrampt.«
»Du bist getrampt? Bist du wahnsinnig? Weißt du, wie viele Verrückte da draußen rumlaufen? Hast du eine Ahnung, was dir alles hätte passieren können?«
»Man hat mich vom Unterricht ausgeschlossen.«
Casey biss sich auf die Lippe, um nicht laut loszubrüllen.
»Nur für eine Woche. Keine große Sache. Aber da hab ich mir gedacht, ich könnte genauso gut nach Hause fahren.«
»Und? Haben Dad und Alana Stress gemacht?«
»Kaum.«
»Sie waren nicht wütend?« »Sie waren nicht da.«
Casey versuchte, sich an die Reisepläne ihrer Eltern zu erinnern. Soweit sie wusste, waren sie in Philadelphia. »Hat dich die Haushälterin nicht reingelassen?«
»Die war auch nicht da.« »Es war niemand zu Hause?«
»Oh doch«, sagte Drew. »Ein sehr nettes Ehepaar namens Lyle und Susan McDermott. Sie haben das Haus offenbar schon vor ein paar Monaten gekauft.«
Casey war verwirrt. »Du bist zu dem Haus in der Brynmaur Avenue gegangen?«
»Klar bin ich zu dem Haus in der Brynmaur Avenue gegangen. Da haben wir gewohnt, als ich zum letzten Mal zu Hause war.«
»Aber Dad hat das Haus doch schon vor Monaten verkauft.«
»Du wusstest es?«
»Du nicht?«
»Woher sollte ich es wissen?
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