Im Labyrinth der Fugge
wie eine im Flussbett angetriebene Wurzel. Er war der Buchhalter von Vaters Oheim Anton gewesen, dann bei Oheim Christoph im Dienst und nun hatte ihr Vater ihn als Leibdiener eingestellt. Er hielt sich stets wortkarg im Hintergrund, aus Sicht ihrer Mutter ein Musterbeispiel gelungener Gesindeführung. Von ihrem Blickwinkel aus sah Anna seine zerschrammten Hände, groß wie Kupferschalen. Bei welchem alchemistischen Versuch ihres Vaters hatte er sich so zugerichtet? Er packte den Winselnden unter den Achseln, zerrte ihn samt Teufelsverkleidung vom Bett. Dumpf schlug der Bockskopf auf die Steinplatten. Der Mönch stöhnte auf. An seinen Armen pendelten gespaltene Klauen. Auf einmal sackte er zusammen. Sein Leib erschlaffte. Hatte er das Bewusstsein verloren, oder war er … tot? Anna erschrak. Auf dem Bett lag ein Dolch. Severin schleifte den Mönch über den Küchenboden, fort aus ihrem Sichtbereich. Wo schleppte er ihn hin? Sie hielt den Atem an und hörte, wie Severin den ersten Truhendeckel hob, die Geschirrtruhe. Dann den zweiten …
»Anna«, rief Mechthild im Treppenhaus. »A-n-n-a.«
Sie schloss die Augen und schob sich so klein wie möglich zusammen. Arme und Beine eng an den Leib gezogen, presste ihren Kopf in die Hände. Sie spürte ihren Herzschlag von den Schläfen bis in die Fingerspitzen. Severin keuchte, dicht neben ihr. Sie hörte, wie er den schweren Leib in die Getreidetruhe hievte. Die Körner knirschten, als der Mönch auf dem Boden aufkam. Wahrscheinlich trat Severin ihn noch hinein, nur damit er in die Truhe passte. Dann war es still. Anna graute es, aus ihrem Versteck zu steigen. War der Mönch wirklich tot? Was war, wenn er aus der Truhe fuhr wie das Turamichele aus dem Perlach mit seinen verrenkten Gliedern, von denen rote Körner rieselten, ›Hilf mir‹ flehte, sie packte und hinabzog? Noch schrecklicher war die Vorstellung, dass Severin neben ihrer Truhe lauerte, bis sie sich rührte.
Hinterher wusste sie nicht mehr, ob Stunden oder nur Augenblicke vergangen waren. Sie sah sich selbst an einem Stickrahmen sitzen, der zwischen zwei Böcken aufgestellt war. Sie stieß eine Nadel mit dunkelrotem Garn in den Stoff, holte sie unter dem Rahmen ab und führte sie an einer anderen Stelle zwei Kettfäden weiter wieder zurück. So stickte sie ein Kreuzmuster, schräg nach oben, schräg nach unten, immer das Gleiche. Stich für Stich. Doch ein Schnörkel geriet ihr zu einem Teufelsschweif, Hinterhufe daran, dann der Rumpf eines Mannes. Sie wollte das nicht, aber ihre Hand stickte mit einem endlosen Faden immer schneller werdend weiter. »Nein!«, schrie Anna. Die Nadel fuhr empor, stieß durch ihre Zunge, nähte sie an dem Teufelsbild fest. Sie tastete mit der freien Hand nach der Schere. Die winzigen Kreuzstichteufel kicherten. Die Hand mit der Nadel stickte weiter. Feuer, Rauch, Wolken, Vögel oder waren es Fledermäuse? Dazwischen kleine Kinder, die fliegen konnten.
»Schau, Anna, ich kann es auch.« Mechthild und Maria waren dabei, auch ihr kleiner Bruder Albert. Er schwankte im Himmel wie eine junge, dick aufgeplusterte Amsel, drohte abzustürzen. Anna erwischte die Schere und suchte, ohne Hinzusehen, mit den geöffneten Klingen das Fadenstück zwischen Zunge und Stoff. Alle Figuren blieben stehen, bewegten sich nicht mehr, wurden Stickbilder, nur noch Muster einer Tischdecke. Anna schnitt. Blut troff von der Schere. Sie hatte ihre Zungenspitze erwischt.
16. Der Anker
Sobald die angebundene Frau Kellenbenz in der Dunkelheit hörte, begann sie zu kreischen. »Satansbrut, Beelzebub, Otterngezücht.« Kellenbenz stahl sich zur Stalltür. Wieder ging das Portal zum Wohnhaus auf. Wohin sollte er fliehen, wenn es eine Wache war? Wahrscheinlich war von den Schreien der Frau sowieso schon das ganze Haus zusammengelaufen. Doch aus der Tür schleppte sich ein Mann in einer Kukulle, F! Er hatte sein Teufelskostüm abgelegt, wirkte im fahlen Mondlicht wieder wie der zerbrechliche Milchbart aus dem Anker und kroch mehr, als dass er ging. Dann brach er vornüber zusammen.
Das Portal stand einen Spaltbreit offen, Kellenbenz konnte zu Bianka gelangen. Er schlüpfte durch die Stalltür, hoffte, die Frau hinter ihm würde nicht wieder zu kreischen anfangen und schlich an der Hauswand entlang, an F vorbei. Er wollte die Tür aufdrücken, den Eingang ins Fuggerreich, da spürte er eine Hand am Bein. F umklammerte seinen Knöchel. Angewidert versuchte Kellenbenz die Finger abzuschütteln.
»Hilf mir«,
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