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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Elisa war sich ebenso sicher, dass Christine diese Taktik längst durchschaut hatte, sich aber trotzdem jedes Mal ernsthaft darauf einließ.
    »Falls es wirklich dieses Fest gibt – gehst du gemeinsam mit mir hin?«, fragte Lukas leise, ehe sie den Tisch erreichten.
    Seine Wangen brannten rot – wie die von Christl, als vorhin Viktors Name gefallen war.
    »Wenn du magst«, sagte Elisa.
    Sie war froh, seinen Blick nicht erwidern zu müssen; rasch nahmen sie Platz, und alle beugten sich hungrig über den Kessel. Das Mahl verlief schweigend.

    »Stellt euch vor: Antiman sagt, dass das tatsächlich eine Kartoffel ist.«
    Drei Tage waren vergangen, seit das letzte Dach gedeckt worden war, als Annelie die Knolle gegen das Licht hob, um sie eingehender zu betrachten.
    Barbara und Jule hoben träge den Kopf. Es war längst nichts Neues, dass Annelie wieder einmal auf eine Frucht, Beeren oder Pilze gestoßen war, die man essen konnte und die halbwegs sättigten – ob sie auch schmeckten, war eine andere Sache.
    »Ja doch!«, bekräftigte Annelie. »Das ist eine Kartoffel! Rote Kartoffeln sind in Chile gar nicht so selten, sagt Antiman. Es gäbe auch blaue und lilafarbene, stellt auch das vor.«
    »Pah!«, rief Jule. »Und was nützt uns das? Wir essen seit einem Jahr fast nur Kartoffeln. Aus den Ohren kommen sie mir so oder so raus, ob sie nun rot oder blau oder lila sind.«
    Annelie ließ die Knolle wieder sinken. »Aber heute Abend wirst du viel mehr essen als nur Kartoffeln.«
    Sie stand glücklich vor mehreren Schüsseln. Für gewöhnlich musste sie sich mit einer begnügen, um das Mahl zuzubereiten. Doch heute war sämtliches Geschirr zusammengetragen worden, damit Annelie es mit köstlichen Gerichten füllen konnte.
    Das anstehende Fest hatte sie in den letzten Tagen noch erfinderischer und experimentierfreudiger gemacht. Nicht nur, dass sie sich auch weiterhin abmühte, einen Rhabarberkuchen zu backen – mittlerweile hatte sie herausgefunden, dass man nicht nur die Stiele der Nalca-Pflanze essen, sondern mit deren Blättern gut die Ritzen der Hauswände stopfen konnte. Obendrein hatte sie entdeckt, dass jene feuerrote Blume, die Copihue, die im Regenwald wuchs und deren biegsame, zähe Wurzeln man zu allerhand Flechtarbeiten verwenden konnte, im Frühjahr saftige Früchte in der Form einer Kirsche hervorbrachte, nicht ganz so rot wie die Blüten, sondern orange-gelb. Sie würden süßlich schmecken, hatte Antiman erklärt, und nachdem Annelie erst mal davon probiert hatte, konnte sie sich daran nicht satt essen. Ihre Zunge schien, nach all den faden Kartoffel- und Kohlgerichten, förmlich zu glühen.
    Auch jetzt naschte sie gierig davon.
    Barbara hob den Kopf: »Ich würde mich ja nicht trauen, so viele Früchte zu essen … in deinem Zustand.«
    Annelie blickte auf ihren sanft gewölbten Leib. Man sah ihr erst seit kurzer Zeit an, dass sie wieder schwanger war. Es sei dies ein Zustand der Schande, den eine Frau so gut wie irgend möglich verbergen müsse, hatte ihr die Mutter einst eingebleut, doch seit sie festgestellt hatte, wieder ein Kind zu bekommen, hatte sie sehnsüchtig auf den Moment gewartet, da alle anderen es sehen würden. Wenn darüber gesprochen wurde, war sie nicht beschämt, sondern glücklich und stolz.
    Die Monate, die hinter ihnen lagen, waren gewiss beschwerlich und arbeitsreich gewesen, doch es hatte sich vieles zum Besseren gewendet. Richard war zwar nach wie vor langsam und zögerlich in all seinen Regungen, aber er schien nach ihrer Ankunft am See wie aus langem Schlaf erwacht zu sein. Er starrte nicht länger trübsinnig vor sich hin, sondern nahm nach und nach am Leben teil, sprach wieder mit ihr, berührte sie, lächelte ihr zu. Die letzten Reste des Schwermuts würde er sicherlich abstreifen, wenn er erst einmal seinen Sohn in den Armen hielt – und Annelie war sich sicher, dass sie einen Knaben erwartete.
    Sie beugte sich über den Tisch.
    »Antiman hat mir bis jetzt nur gute Ratschläge erteilt. Er sagt, dass man auch Samen und Blätter von Arrayán verwenden kann – allerdings nicht als Nahrung, sondern als Medizin gegen Durchfall, zum Beispiel. Und er hat mir so viel vom Llao-Llao erzählt. Ein Pilz soll das sein, der vor allem an der Südbuche wächst und sehr schmackhaft ist. Schade, dass ich noch keinen gefunden habe. Und schade, dass Antiman so selten hier ist.«
    Er hatte sie kurz nach der Ankunft am See verlassen, und auch wenn er zwischendurch immer wieder

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