Im Land der Feuerblume: Roman
worden«, erzählte sie.
»Ach, der Arme!«
Manuel lachte, bis sich die Äste bogen.
Rosetta war ohne Zweifel die wildeste Kuh, aber wenn es Jacobo war, der von ihr getreten wurde, so suchte ein jeder ganz selbstverständlich die Schuld bei ihm und nicht bei diesem »Teufelsvieh«, wie Jule Rosetta einmal genannt hatte.
»Und wie viel Milch wohl die Theres heute melken wird?«, fragte Emilia schelmisch.
»Ein halbes Glas?«, schlug Manuel vor und beugte sich zu ihr, um ihr ein Ästchen aus den Haaren zu streichen.
Eigentlich hatte Emilia genauso große Angst vor dem Melken wie Theres. Christine hatte es einst den Mädchen beigebracht. Nur drei Euter durften ausgemolken werden, das vierte musste fürs Kalb unberührt bleiben. Mit Daumen und Zeigefinger wurde ein Ring gebildet und mit diesem die Euter in die Länge gezogen. Dabei musste man mit Mittel-, Ring- und kleinem Finger rasche knetende Bewegungen machen.
Emilia hasste den Geruch der Tierleiber; sie fürchtete sich vor dem Schwanz der Kühe, der ihr manchmal schon schmerzhaft ins Gesicht geschlagen worden war, und am meisten vor den bedrohlichen Hufen. Und doch hatte sie immer ihren Eimer Milch zusammenbekommen – allein der Stolz gebot es ihr, nicht eher aufzugeben –, wohingegen Theres am Ende meist mehr Tränen als Milch vorzuweisen hatte.
»Glaubst du …«, setzte Emilia an.
»Psst!«
Sie hörten Schritte und spähten nach unten. Zuerst sahen sie Frida, Poldis älteste Tochter, die durch das Buschwerk eilte. »Emilia! Manuel!«, rief sie mit ihrer schrillen Stimme.
Emilia erstickte fast vor unterdrücktem Lachen, als Frida nach vorne und nach hinten starrte, jedoch nicht auf die Idee kam, auch nach oben zu blicken. Manuel stieß Emilia heftig an, damit sie sich beherrschte. »Psst!«, machte er wieder und schüttelte den Kopf.
Mehrmals rief Frida ihre Namen, dann ging sie weiter. Erst jetzt sah Emilia die flachen, runden Holztröge, die sie mit sich schleppte und aus denen die Kühe getränkt wurden. Wahrscheinlich wäre es ihr zupassgekommen, die mühselige Aufgabe, sie mit Wasser zu füllen, auf sie abzuwälzen.
Es dauerte nicht lange, bis die beiden anderen Schwestern folgten. Poldis Töchter traf man nur zu dritt an, und wo immer sie auftauchten, war meist auch Jacobo nicht weit. Wenn er nicht gerade wie vor drei Wochen von einem Hund gebissen wurde oder vergebens darum kämpfte, mit dem Lasso Kühe einzufangen, schritt er stolz wie ein Gockel durch die Gegend. Seine Nase war dabei so weit in die Luft gereckt, dass ihm, wie Jule des Öfteren lästerte, wohl irgendwann der Regen direkt in die Nasenlöcher fallen und ihm das Hirn, so denn eines vorhanden, aufweichen würde. Worauf er so stolz war, wusste niemand – nur dass Christl den Sohn, der ihr einziges Kind geblieben war, hemmungslos verwöhnte. Von Poldis Töchtern lernte er auf jeden Fall keine Bescheidenheit, versuchten diese doch schon seit Kindestagen, sich gegenseitig auszustechen und ihn zu beeindrucken, was wohl weniger an seinen Begabungen lag als daran, dass er der künftige Erbe des prächtigen Glöcknerhofs war – wie Jule auch hierüber lästerte.
Als die Mädchen verschwunden waren, hielten Manuel und Emilia nach Jacobo Ausschau.
»So hoch, wie er die Nase hält, ist er wahrscheinlich gegen einen Baum gelaufen«, spottete Manuel, als nichts von ihm zu sehen war.
Emilia kicherte. »Welche der drei Schwestern wird Jacobo wohl heiraten?«, fragte sie.
»Wahrscheinlich alle drei«, schlug Manuel vor.
»Aber Christl will, dass Jacobo nach Valdivia geht! Ich frage mich nur, wer später ihren Hof übernehmen soll.«
Manuel zuckte die Schultern. »Vielleicht einer meiner Brüder …«
Emilia konnte sich nur schwer vorstellen, dass die Wahl auf einen der beiden fiel. Lu und Leo waren unzertrennlich und machten alles gemeinsam – in diesen Tagen streiften sie wieder einmal durch die Wälder. Sie waren ohne Zweifel gute Jäger, und mit dem Lasso gingen sie ungleich geschickter um als Jacobo, aber wenn es ums regelmäßige Mitanpacken ging, konnte man auf sie genauso wenig zählen wie auf Poldis Töchter. Lu und Leo waren stark und tüchtig, wenn sie arbeiteten, aber sie arbeiteten eben nur, wenn sie Lust hatten.
»Vor einer Woche hat meine Mutter sie dazu bewegen wollen, Fleisch auszuliefern«, wusste Manuel zu berichten. »Aber stell dir vor: Sie haben die Hälfte einfach stehen lassen!«
Er wirkte grimmig, während er das sagte. Wahrscheinlich, so ahnte Emilia
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