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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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waren, aber sie blieb trotzdem gerne im Gasthof sitzen.
    Lange warteten sie; manchmal ging die Tür auf, doch es war nie Fritz Steiner, der erschien. Zunächst war Elisa einfach nur froh, sich auszuruhen; mit der Zeit fühlte sie sich jedoch immer unbehaglicher in ihren staubigen, verschwitzten Kleidern.
    »Sollen wir nicht lieber …«, setzte sie zögerlich an.
    »Lass uns noch ein bisschen warten«, sagte er.
    Sie hob den Kopf; Cornelius’ Blick war auf sie gerichtet, nachdenklich, sorgenvoll, auch ein wenig traurig.
    »Du denkst an die Kinder, nicht wahr?«, murmelte sie. »Ob es ihnen gut geht, ob sie wohlbehalten hier angekommen sind. Nun, jetzt sind wir hier und bald können wir …«
    »Es tut mir leid«, unterbrach er sie. »Es tut mir so leid.«
    »Was?«
    »Dass ich dir Vorwürfe gemacht habe. Dass ich dir die Schuld gegeben habe für Emilias Verschwinden.«
    Sie senkte den Kopf und erinnerte sich an den Tag, da nicht er ihr, sondern sie ihm Vorwürfe gemacht hatte, bitterste, bösartigste Vorwürfe – wegen Lukas’ Tod und wegen der Schuld, die sie auf sich geladen hatten. Sie kaute auf den Lippen und wollte etwas sagen, doch in diesem Augenblick öffnete sich erneut die Tür.
    »Elisa! Cornelius!«
    Fritz Steiner war kaum wiederzuerkennen. Er trug einen Schnauzer, einen schwarzen eleganten Frack, war viel fülliger geworden, und der harte, strenge, misslaunische Zug war aus seinem Gesicht verschwunden. Dennoch war sein Blick sorgenvoll – und noch ehe sie sich zur Begrüßung um den Hals fielen, begriff Elisa auch, warum. Mit einem Aufschrei stellte sie fest, dass Manuel an seiner Seite war, aber von Emilia fehlte jede Spur.

    Emilia lauschte auf das Schnarchen der Spanierin. Mittlerweile wusste sie, dass diese immer gleich nach dem Essen einschlief. Mit einer großen Schüssel Eintopf hatte sie sich direkt vor Emilia gesetzt, so dass der kräftige Geruch nach Kräutern und Lammfleisch verführerisch in ihre Nase stieg. Dann hatte sie alles ganz allein aufgegessen, während Emilias Magen vor Hunger knurrte.
    »Kannst gern davon haben«, spottete die Spanierin rülpsend, »wenn du dich nicht mehr so störrisch zeigst.«
    Die ersten Male hatte Emilia ihr wütend beim Essen zugesehen und an den Fesseln gezerrt, doch mittlerweile wusste sie, dass dies sinnlos war. Wut und Ohnmacht verschleierten nur ihren Blick. Sie durfte nicht nachgeben, sondern musste möglichst nüchtern beobachten, was um sie herum geschah. Mit der Zeit hatte sie herausgefunden, dass die Spanierin nicht nur dazu bestimmt worden war, über sie zu wachen und sie gefügig zu stimmen, sondern dass sie ziemlich träge war, weder Ehrgeiz noch Eile erkennen ließ und die Aufgabe lieber nutzte, um sich satt zu essen und genügend Schlaf zu bekommen.
    Sie schnarchte, dass die Wände wackelten, und Emilia war erleichtert darüber. So musste sie nicht auf die anderen Laute lauschen, die von den Räumen unter und neben ihr kamen. Manchmal ertönten Gesang und Gitarrenspiel, manchmal Girren und Lachen, manchmal Gekreisch und Weinen. Die Spanierin war die einzige Frau, die sie zu Gesicht bekommen hatte, seit die Männer sie hierher verschleppt hatten, und doch war sie sich sicher, dass sie von jungen Mädchen umgeben war, die ihr Geschick teilten, die arm und heimatlos in die Fänge der Männer geraten waren, schließlich dem Hunger nachgegeben hatten und alles taten, was diese wollten.
    Emilia wusste nicht, wie lange sie noch die Qualen aushalten konnte. Von Stunde zu Stunde fühlte sie, wie ihr Körper schwächer wurde. Wenigstens war ihr Geist noch nicht ähnlich kraftlos. Sie hatte einen Plan ausgeheckt, sich zu befreien, und jetzt – sie ballte ihre Hände zu Fäusten, als sie die schnarchende Frau anstarrte – würde sie ihn umsetzen.
    Es gab nur einen Grund, warum man ihre Fessel bislang gelöst hatte – nämlich wenn sie sich erleichtern musste. »Ich muss mal«, hatte sie vorhin darum der Frau erklärt, als diese schmatzend vor ihr saß.
    »Gibst du endlich nach?«, hatte sie lauernd gefragt.
    »Nein«, hatte sie stur erklärt, um zu wiederholen: »Ich muss mal.«
    Das war eine Lüge; sie hatte zu lange nicht gegessen und getrunken, um Wasser zu lassen. Doch ehe die Frau sie losband, hatte sie sich stundenlang abgemüht, einen Holzsplitter aus dem Bett zu ziehen, an das sie gebunden war. Sie hatte sich ihre Finger wund gerieben und sich manchen Splitter eingezogen, aber als Lohn hielt sie nun einen kleinen Span in der Hand. Als

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