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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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übereinander hergefallen. Nicht wie Tiere, sondern wie zwei, die nur noch einander hatten. Solange Valentin bei ihr war, solange sie sich liebten, tranken, sich weiterliebten und noch mehr tranken, ließ es sich ertragen. Aber Valentin war nicht oft bei ihr. »Der Kaiser braucht mich«, lautete die Parole, der sie keinen Widerstand entgegensetzen durfte. Alle Welt verließ den Kaiser – Napoleon zog seine Truppen ab, sein belgischer Schwiegervater starb, sein Bruder wies einmal mehr die Bitte um Hilfstruppen ab, und die Union hielt es mit Juárez. Wie konnte ihn in dieser Not noch Valentin verlassen? »Wie kann ich das tun, Katharina? Könntest du einen Mann noch lieben, der seinen Kaiser verrät? Ihr Mexikanerinnen bringt das wohl fertig – gab es da nicht diese Josefa Ortiz, die ihren Mann eigenhändig zum Verräter machte? Eine Tirolerin aber würde solchen Mann nie mehr achten, sondern sich schämen, an seiner Seite zu stehen.«
    Katharina, die nicht hören wollte, was Tirolerinnen taten, sagte nichts, sondern liebte ihn. Ihre Liebe war noch immer ein Rausch. Wenn sie daraus erwachte, sah sie ihr Gesicht im Spiegel, sah die Spuren des Lebens, das sie führte, und fühlte sich viel älter als Mitte dreißig. Sie ging hinaus auf ihre Veranda, damit ihr der Morgen das Gesicht kühlte, blickte auf den silbernen See und sehnte sich nach den einfachen Dingen, die sie früher hatte tun können – eine Zeitung lesen, mit Stefan über die Schule fachsimpeln, bei einem Straßenhändler scharfe Tamales kaufen. In ihrem Leben gab es keine einfachen Dinge mehr. Auch keine Briefe. Martina schrieb ihr nicht länger – sie musste sie hassen für das, was sie Benito angetan hatte, und Katharina hatte kein Recht, sich zu verteidigen. Von ihrer Familie wusste sie nichts.
    Zwar gab es noch Bälle und Soireen, doch wurden die Abstände größer. Immer häufiger kam es zu Übergriffen auf Ausländer, und die Reichsten von ihnen verließen die Stadt. Längst war allgemein bekannt, was auf jenen Flugblättern gestanden hatte, dass nämlich Juárez sich keineswegs außer Landes befand. Seit Jahresbeginn zog er von Norden hinter den Linien seiner erstarkenden Armee her, Stück um Stück seiner Hauptstadt entgegen. Valentin verließ kaum noch die Stellung. »Es ist ja nicht möglich, dass wir den Kampf verlieren«, hatte er Katharina versichert. »Und wenn uns das ganze sterbensmüde Europa im Stich lässt, wir werden das Blatt wieder wenden. Unser Werk lassen wir uns nicht zerstören.«
    Katharina dachte: Geh nur du mir nicht unter. Was sollte sie tun, wenn er nicht wiederkam, wie in eine Welt zurückkehren, in der kein Mensch mehr zu ihr gehörte? Ihr Hausmädchen kochte ihr Essen, und unter der Steinnusspalme hatte Valentins Bursche sein Zelt aufgeschlagen, doch beide sprachen nicht mit ihr. Es war, als wäre sie aus dem Geschlecht der Menschen ausgestoßen.
    Um nicht den ganzen Tag beim Haus zu hocken und gegen den Drang zu kämpfen, eine Flasche Wein zu öffnen, zwang sie sich, im Park spazieren zu gehen. Eines Nachmittags sah sie dabei den Kaiser, der wie ein gewöhnlicher Vater den kleinen Iturbide-Prinzen durch die verschlungene Pflanzenwelt führte und ihm in einer Baumkrone einen Papagei zeigte. Beide trugen weiße Leinenanzüge und Hüte mit breiten Krempen. Hatte Maximilian wirklich den Jungen ins Schloss geholt, weil er hoffte, ein mexikanischer Erbe rette ihm den Thron? Oder hatte er einer Mutter ihr Kind gestohlen, weil er den Schmerz nicht ertrug, selbst keines zu haben?
    Auf einmal glaubte Katharina ihn zu verstehen. Sie hätte ein Kind stehlen wollen und ihm das Silber des Sees vor ihrem Haus zeigen. Hatte Marthe sie deshalb ihrer Mutter gestohlen? Dunkel erinnerte sie sich. Einmal hatte ein kleiner Bruder in der Wiege gelegen, und sie hatte an der Hand ihres Vaters davorstehen und das winzige Gesicht bestaunen dürfen. Nur ein einziges Mal. Dann war der Bruder gestorben. Rasch ging sie weiter, um den Kaiser und das Kind nicht zu stören. Sie sehnte sich nach Marthe. Sie sehnte sich nach Felice. Sie wollte Martina besuchen und den kleinen Tomás auf der Welt begrüßen.
    Aus ihren Gedanken schreckte sie, weil jemand nach ihr rief. »Fräulein Lutenburg!« Es war der Sepp, Valentins Bursche. Etliche Male hatte sie sich vorgestellt, wie er sie rufen würde, weil Valentin im Kampf mit den Juárista gefallen war wie Hauptmann Lechner, vor ihrem Haus stehen und mit Grabesstimme beteuern würde, es tue ihm leid. Sie

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