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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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schon.«
    Neele war alles andere als beruhigt, aber sie hatte nicht mehr die
Kraft für eine Diskussion, und sie fühlte sich tatsächlich sehr unwohl in dem
klebrigen Kleid. Also gab sie schließlich nach und folgte Paulas Beispiel. Sie
huschte hinüber in das Badezimmer, übergoss sich mit zwei Schöpfern von dem
kalten Wasser und holte ein Nachthemd aus ihrem Koffer – ein frisches, soweit
man die in den heftigen Regengüssen auf hoher See gewaschene Wäsche als solches
bezeichnen konnte. Als sie ins Bett kroch und Paula die Petroleumlampe
ausblies, spürte sie, wie ihre Glieder bleischwer wurden und ihre Augen sich
nicht mehr öffnen ließen. Sie sank in tiefen Schlaf.

2
    A ls Neele am Morgen
erwachte, wusste sie erst nicht, wo sie sich befand. Wie war sie in einen
weiten, freundlichen Raum gelangt anstelle der finsteren Kiste auf der Meisje Mariaan ? Sie setzte sich auf und sah blinzelnd um
sich. Ein kräftiger und sehr reizvoller Geruch strömte von draußen herein –
besser gesagt, ein Gemisch von Gerüchen, in dem sie vor allem den von starkem
Kaffee erkannte. Die Vorstellung, guten Kaffee zu trinken anstelle des
erbärmlichen Muckefucks an Bord der Meisje Mariaan ,ermunterte sie so sehr, dass sie sich aufsetzte und aus
dem Bett stieg.
    Die Bewegung scheuchte ein Tier auf, das im Schatten zwischen Wand
und Bett gesessen hatte, eine erschreckend große und fette Eidechse. Es schoss
senkrecht an der Wand hoch und starrte aus seinen goldenen Glubschaugen auf
Neele hinunter, die einen heftigen Schreckensschrei ausgestoßen hatte. Dann
verschwand es durch das Gitter des Oberlichts.
    Paula, die der Schrei aus dem Schlaf geschreckt hatte, fuhr hoch.
»Um Himmels willen, was ist denn los?«
    Â»Ein Tier war da«, klagte Neele. »Ein scheußliches Tier, wie ein
kleiner Drache.«
    Â»Wird ein Gecko gewesen sein.« Paula zeigte
sich nicht im Geringsten beeindruckt. »Die flitzen hier überall herum, sagte
Dr. Bessemer. Sie sind harmlos wie Eidechsen.«
    Neele beschäftigte sich schweigend mit ihren Stiefeln, wobei sie aus
den Augenwinkeln den Raum absuchte, ob noch irgendwo ein Gecko unterwegs war.
Ihr graute bei dem Gedanken, dass eines dieser blitzgeschwinden Tiere noch
einmal dicht neben ihr an den Möbeln oder der Wand hinaufrannte oder gar über
ihrem Kopf an der Decke entlanglief!
    Wenig später betraten sie den Raum unter dem Windschirm, in dem das
Frühstück serviert wurde. Neele fand sich umwölkt von fremdartigen Aromen,
gemischt aus erhitztem Palmöl und einer Unzahl süßer und scharfer Gewürze. Mit
einigem Misstrauen betrachtete sie das Büfett auf dem langen Holztisch, war
dann jedoch angenehm überrascht. Sie kannte alle die Speisen, auch wenn sie auf
eine ungewohnte Art angerichtet waren. Es gab Hühnerspießchen, Reis- und
Nudelsuppe, kleine flache Kuchen, in Eierteig frittierte Bananenschnitze und
vor allem jede Menge Reis und Gemüse in allen Variationen. Kaffee wurde aus
einem mächtigen Topf ausgeschenkt. Lennert erschien, ausgeschlafen und frisch
angezogen. Er gesellte sich zu den beiden Frauen, nachdem er seinen Teller beladen
hatte, und dann aß er erst einmal gründlich.
    Die Leute, die die Nacht unter dem Windschirm verbracht hatten,
drängten herbei, holten in Bambusbechern Kaffee und Suppe, während andere –
offenbar die besser zahlenden Gäste – sich an Holztische setzten und Speisen
vom Büfett holten. Neele war hungrig, und so füllte sie einen Teller mit
Fleischspießchen, Reis und Gemüse und den flaumigen gelben Reiskuchen. Sie fand
jedoch kein Besteck, und als sie den Blick rundum schweifen ließ, stellte sie
fest, dass alle Leute mit den Händen aßen.
    Da niemand Besteck benutzte, würde sie wohl auch keines bekommen,
also entschloss sie sich, es den anderen Frühstücksgästen gleichzutun. In
Pastor Ormus’ Institut konnte sie dann ja wieder auf anständige Art und Weise
essen. Es fiel ihr schwer; alles in ihr sträubte sich dagegen, mit den Fingern
ins Essen zu greifen, was man ihr in Europa immer als die schlimmste aller
Unsitten verwiesen hatte. Es gelang ihr auch nicht, so gesittet zu essen wie
die Einheimischen rundum, die mit einer eleganten Bewegung mit Daumen und
Zeigefinger ein Reisbällchen drehten, dieses ins Gemüse oder in die Suppe
stippten und dann in den Mund beförderten. Stattdessen zerkrümelte

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