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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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ständig der
gekochte Reis in ihren Fingern, oder die Soße tropfte auf ihr Kleid, und sie
musste sich in einem fort die Finger ablecken. Hilflos versuchte sie, mit der
Linken nachzuhelfen, als ihr plötzlich jemand sanft auf die Finger schlug.
    Sie drehte sich um und sah sich einem tabakbraunen Hutzelweiblein in
grellbunt gemusterten Kleidern gegenüber, das auf sie einredete. Als die Alte
merkte, dass Neele sie nicht verstand, deutete sie ihr mit erhobenem Zeigefinger:
Das tut man nicht!, wobei sie ihr von Neuem leicht auf
die Linke schlug. Dabei zog sie ein unmissverständliches Gesicht: Das ist sehr,
sehr ungehörig und unappetitlich!
    Paula bemerkte: »Offenbar hast du mit der falschen Hand gegessen.
Man steckt die Linke nicht ins Essen, weil sie unrein ist. Wahrscheinlich wird
man den Rest der Woche hier über uns lästern.«
    Sie lachte, aber Neele war verärgert und gekränkt, weil sie einen
schlechten Eindruck gemacht hatte. Sie wollte nicht, dass all diese Leute hier
dachten, sie hätte keine Manieren. Sie fragte: »Wo kann ich mir die Hände waschen?« Und obwohl die alte Frau wohl kaum die Worte verstand, so
verstand sie doch den Sinn. Sie bedeutete der Fremden aufzustehen und führte
sie hinter den Windschirm zu einem Busch mit satten, tiefgrünen Blättern, an
denen sie sich die Hände abwischen konnte. Danach bedeutete sie ihr, die Hände
noch einmal mit Wasser zu übergießen, das in einem offenen Becken stand.
    Als sie zurückkehrte, lachte Lennert ihr ins Gesicht. »Der erste Tag
in der neuen Heimat, und du bekommst eins auf die Finger, weil du nicht
ordentlich essen kannst!«
    Â»Ich könnte ordentlich essen, wenn ich Löffel und Gabel hätte!«, fuhr Neele ihn an. »So gehört es sich nämlich bei
zivilisierten Leuten!« Sie war todunglücklich über die
Soßenflecken auf ihrer Schürze. Es war ihr peinlich, dass Richard Hagedorn sie
so sehen würde. Bei dem bloßen Gedanken an ihn schlug ihr Herz schneller. Sie
sah seine Erscheinung in jeder Einzelheit vor sich: das sauber gekämmte wellige
Haar, die klugen Augen, die weichen und noch nicht wirklich männlichen Züge,
die sorgfältige, adrette und zugleich lässig wirkende Kleidung. Und wie
freundlich er ihnen entgegengekommen war! Ohne seine Hilfe hätten sie nicht
gewusst, was sie tun sollten.
    Sie waren mit dem Frühstück fertig, als die Kutsche der Hagedorns
auf den freien Platz vor dem Losmen rollte und Richard ausstieg. »Ich dachte,
ich hole Sie ab. Es ist schließlich Ihr erster Tag in diesem Land«, sagte er.
»Außerdem wollen meine Eltern Sie kennenlernen. Sie haben mehr mit dem Pastor
zu tun gehabt als ich, und sie wurden natürlich sehr neugierig, als ich ihnen
erzählte, dass Sie den ganzen weiten Weg von Bremerhaven hierher gemacht haben
und jetzt vor dem Nichts stehen. Steigen Sie ein.«
    Die drei jungen Leute gehorchten. Neele fühlte sich beträchtlich
besser als am vergangenen Abend; sie war sogar so vorwitzig, dass sie Richard
fragte, ob man in Java immer und überall mit den Fingern äße.
    Er schüttelte den Kopf. »Mit den Fingern essen nur die
Einheimischen, die Pflanzer halten sich an europäische Sitten. So weit käme es
noch, dass wir die Finger ins Essen stecken wie die Wilden!«
    Das Pferd fiel in Trab. In der Nacht hatte Neele fast nichts mehr
von ihrer Umgebung erkennen können. Jetzt fand sie sich auf allen Seiten von
einem überwältigenden üppigen Grün umgeben, das sich geradezu auf sie zu stürzen
schien. Mit einem Gefühl der Beklemmung sah sie, dass die Straße durch einen
Tunnel aus Palmen und grauen, zottigen Bäumen führte, von denen lange Lianen
herunterhingen. Da und dort öffnete sich eine Lücke und gab den Blick frei auf
Häuser inmitten üppiger, farbenfroher Gärten, dann wieder gewann der Dschungel
die Oberhand und verschlang alles, was nicht mit Machetenhieben von ihm befreit
wurde. Sogar an einer Bambusbrücke, die über den Bach unterhalb eines in
schmalen Stufen zu Tal stürzenden Wasserfalls führte, angelten bereits die
gierigen Ranken.
    Hagedorn erzählte ihnen, man könne nicht schnell genug den Weg
freihacken, ehe das allmächtige Grün sich wieder darüber hermachte, das hätten
sie ja am Haus des Pastors gesehen. Hin und wieder, so sagte er, schickten die
Nachbarn ein paar Arbeiter hinüber, die den Weg

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