Im Land der Orangenbluten
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will niemanden beschuldigen und Ihnen auch keine Angst machen, aber man munkelte damals, dass Mijnheer Leevken daran nicht ganz unbeteiligt war. Das sahen wohl auch die Eltern von Mevrouw Leevken so, und es gab sehr viel Streit. Letztendlich hat das den alten Mijnheer Fiamond ins Grab gebracht. Seine Frau führte dann noch einen erbitterten Feldzug gegen Mijnheer Leevken, um die damals gegebene Mitgift wieder zurückzubekommen. Und um das Kind, Mejuffrouw Leevken, hat man sich auch gestritten. Die Fiamonds wollten Martina damals zu sich nehmen, sie bekamen aber nur ein Besuchsrecht zugesprochen. Daher fährt Mejuffrouw Leevken auch heute noch in die Stadt zu ihrer Tante. Die Großmutter lebt noch, ist aber stets leidend.«
»Oh!« Julie hatte nichts von der Dramatik der Ereignisse nach Felices Tod gewusst. »Also ... habe ich gar keine Chance, etwas zu bewirken«, sagte sie niedergeschlagen.
»Aber Mevrouw Leevken, natürlich bestünde diese Möglichkeit! Ich meine, Ihre Beziehung zu Mejuffrouw Leevken ist zwar nicht die beste, aber ...« Julie gab ein verächtliches Lachen von sich. »... aber Sie könnten doch, nun ja, ich weiß ja nicht, ob sie das annehmen würde ...«
»Nun sagen Sie schon.« Julie war in der Tat über jede Idee dankbar, die die Situation auflockern konnte.
»Na, sehen Sie doch einfach zu, dass Mejuffrouw Leevken ihren Willen bekommt. Fahren Sie mit ihr zu ihrer Tante in die Stadt und beziehen Sie sie in die Planungen ein. Mijnheer Leevken muss ja nicht ... er muss es ja nicht so direkt mitbekommen. Sie hätten damit eine große Last weniger, und Mejuffrouw Leevken würde sich vielleicht etwas umgänglicher zeigen.« Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: »Mevrouw, Valerie Fiamond ist eigentlich eine ganz nette Frau, Sie brauchen keine Angst vor ihr zu haben. Sie sind immerhin die Letzte, die sich Vorwürfe machen muss. Sie haben mit der ganzen Geschichte schließlich nichts zu tun.«
Julie grübelte einige Tage über Riards Vorschlag nach. Im Grunde war die Idee nicht schlecht. Martina würde ihren Willen bekommen, sie ersehnte sich nichts mehr als eine standesgemäße Hochzeit und hing ja offensichtlich sehr am Wort ihrer Tante. Die Gefahr, dass sie den Plan an Karl verraten würde, schätzte Julie inzwischen als gering ein.
Julie vermutete, dass es Martina im Laufe der Jahre bei den Besuchen in der Stadt bei der Familie ihrer Mutter besser ergangen war als auf der Plantage, wo ein junger Mensch stupider Langeweile ausgesetzt war. Auch wenn Martina materiell sicher nie etwas hatte entbehren müssen. Aber Karl war vermutlich kein sich sorgsam kümmernder Vater gewesen. Martinas Bindung an ihre Tante war also durch vielerlei zu erklären, Julie konnte sie in gewisser Weise sogar verstehen. Vage erinnerte sie sich an ihre erste Zeit im Internat, ohne Familie und ohne wirkliche Freundinnen. Manchmal hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht als eine heile Familie, eine Mutter, Schwester oder Base, an die sie sich vertrauensvoll hätte wenden können.
Vielleicht würde sich der Kontakt zu Martina sogar verbessern. Martina hatte nie Zweifel aufkommen lassen, dass sie ihre Stiefmutter nicht mochte. Aber immerhin, sie war ihre Stieftochter. Vielleicht war es Zeit, jetzt etwas daran zu ändern. Die Hochzeit würde Ende März stattfinden. Karl hatte einfach den alten Termin wieder anberaumt, er hatte ja auch keinen Überblick über den Aufwand dahinter. Julie wäre es lieber gewesen, wenn die Feier erst nach der großen Regenzeit stattgefunden hätte, aber im August würde Martinas Baby schon da sein, und eine Geburt vor der Hochzeit war undenkbar. Also blieb nicht viel anderes übrig, als die Hochzeit jetzt noch abzuhalten. Die Zeit drängte. Theoretisch war zwar alles organisiert, aber die praktische Umsetzung war noch nicht weit gediehen.
Und es gab noch weitere Argumente, die Julie für den Plan begeisterten: Pieter würde es sich nicht entgehen lassen, mit in die Stadt zu reisen und sich somit von den Mädchen fernhalten. Sie würde selbst endlich auch mal wieder von der Plantage wegkommen und in der Stadt ... Und wenn sie schon mal da war, vielleicht konnte sie da Jean Riard treffen.
In Julie reifte der Entschluss, seine Idee in die Tat umzusetzen. Noch wusste sie zwar nicht, wie der Vorschlag bei Martina und vor allem bei Pieter ankommen würde, aber sie hoffte, dass sie ihn durchsetzen konnte.
Als wenig später Riards Abreise bevorstand,
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