Im Land der Orangenbluten
darüber nachdachte und in sich hineinhorchte, wurde es ihr klar. Sie erwartete ein Kind. Erika war geschockt, zwang sich aber zur Ruhe. Das Kind konnte nichts dafür. Und allmählich begriff sie, dass die Schwangerschaft auch eine Chance barg: Vielleicht konnte sie Ernst van Drag damit auf Distanz halten. Er hatte seine Frau immer in Ruhe gelassen, wenn sie in anderen Umständen gewesen war. Sein Trieb ging offensichtlich nicht so weit, dass er seine ungewöhnlichen Gelüste an einer Schwangeren ausließ. Erika zögerte also nicht, ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen.
»Schwanger, hm?«, knurrte er sie an. »Ist doch immer das Gleiche mir euch Huren, nie könnt ihr aufpassen«, sagte er, ließ Erika aber von diesem Tage an in Ruhe.
Erika verspürte zumindest in diesem Punkt Erleichterung. Trotzdem wusste sie, dass das Problem nur aufgeschoben war. Wenn das Kind da war, sein Kind, würde er sie erst recht nicht ziehen lassen und seine Belästigungen mit großer Wahrscheinlichkeit wieder aufnehmen. Sie musste fort.
Erika bereitete gedanklich alles für ihre Flucht vor. Eine Flucht auf dem Landweg war viel zu gefährlich, die Aufseher der Holzplantage hatten ein geschultes Auge und ein Gespür für genau diese Situation. Außerdem ließ ihr körperlicher Zustand lange Fußmärsche durch unwegsame Wälder im Moment nicht zu, zumal sie Reiner über weite Strecken würde tragen müssen. Und sie wusste nicht, wo die nächsten Plantagen lagen, wahrscheinlich würde man sie eher erwischen, als dass sie sich und das Kind in Sicherheit bringen konnte. Nein, sie würde die erste Strecke auf dem Kreek zurücklegen müssen. Wenn sie den richtigen Zeitpunkt erwischte, würde das Wasser sie hoffentlich schnell von der Plantage weg und außer Reichweite befördern, alles andere würde sich dann schon ergeben. Also brauchte sie ein Boot. Sie fand heraus, wo die kleinen Boote lagen und beobachtete wie beiläufig das Treiben. Tagsüber, bis zum Einbruch der Dunkelheit, landeten und fuhren immer wieder Boote mit Sklaven, sie würde also auf die Nacht warten müssen und dann eines der Boote nehmen. Sie hatte keine Ahnung, wie man mit den Rudern umging, aber sie hoffte, dass der Strom des Kreeks sie treiben würde, zu einem größeren Fluss und irgendwann in Richtung Stadt. So schwer konnte das doch nicht sein! Jetzt musste sie erst einmal dafür sorgen, dass sie wieder zu Kräften kam. Aufbrechen musste sie allerdings, bevor die Schwangerschaft so weit fortgeschritten war, dass sie sie noch weiter behinderte.
Sorgen um das Ungeborene machte Erika sich nicht, eigentlich verschwendete sie kaum einen Gedanken an das neue Leben in ihrem Körper. Ihre Gefühle waren zwiegespalten: Das, was dort in ihr heranwuchs, war ein Geschenk Gottes, Kinder waren ein Geschenk Gottes! Sie musste es akzeptieren, auch wenn es in sie hineingezwungen worden war. Sie zweifelte allerdings daran, ob ihr das gelingen würde. Auf Bel Avenier sicherlich nicht. Aber vielleicht an einem anderen Ort, wo nichts mehr an den Kindsvater erinnerte. Vielleicht würde Reinhard sogar ... Erika graute vor dem Moment, in dem sie ihrem Mann beibringen musste, dass sie das Kind eines anderen unter ihrem Herzen trug oder geboren hatte, dann allerdings könnte sie immer noch sagen ... Ach, sie wusste es nicht.
Reiner schlief tief und fest. Erika hatte ihn am Nachmittag ausgiebig spielen lassen und ihm dann eine große Menge Brei gefüttert. Die kleinen rosa Kinderwangen glänzten, und ab und an gab er ein leises Schmatzen von sich. Sie würde ihn schlafend ins Boot befördern können. Erika hatte etwas Brot und Obst sorgsam in ein Tuch gewickelt. Ihre wenigen Habseligkeiten hatte sie ebenso zu einem kleinen festen Paket verschnürt, welches sie neben dem Kind noch gut tragen konnte. Alles war vorbereitet. Nervös saß sie in ihrem Zimmer und wartete, bis die Dämmerung sich in tiefschwarze Nacht verwandelt hatte.
Kurz traf sie ein Anflug von Reue. Konnte sie die Kinder wirklich allein lassen? Ja, sie hatten ihre Ammen und Haussklaven, die gut für sie sorgen würden. Auch der Abschied von den deutschen Holzfällern fiel ihr schwer. Das Dorf hatte ihr immer einen kleinen Trost und das Gefühl von etwas Heimat gespendet. Erika riss sich zusammen. Sie konnte nicht hierbleiben. Mit einem Ruck stand sie auf, nahm Reiner und das Bündel und schlich leise aus dem Haus.
»Wo willst du hin?« Erika erschrak fast zu Tode, als sich Ernst van Drags hochgewachsene Gestalt aus der
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