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Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: belago
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blieb die offizielle Version. Niemand stellte sie in Frage.
    Karl wurde an einem heißen Tag im April im hinteren Teil der Gartenanlage begraben. Dort stand bereits ein Kreuz – für Felice, allerdings nur zum Gedenken, denn ihre Familie hatte damals darauf bestanden, sie in Paramaribo im Familiengrab zu beerdigen.
    Kiri erholte sich nur langsam. Sie war inzwischen in ihre eigene kleine Hütte gebracht worden, wo die alte Orla nun an ihrer Seite wachte. Julie besuchte das Mädchen jeden Tag und saß stundenlang schweigend neben ihm. Henrys Korb stellte sie neben Kiris Lager. Wenn schon nicht sie, vielleicht konnte Henrys leises, fröhliches Babygequietsche Kiri in ihrer Bewusstlosigkeit erreichen.
    Die alte Orla seufzte nur ab und an geräuschvoll und benetzte Kiris Lippen mit etwas Wasser.
    Vier Tage nach Karls Beerdigung betrat Aiku die Hütte. Julie sah ihn verwundert an, als er ihr ein kleines Bündel reichte und sofort wieder verschwand. Sie schlug das Tuch auseinander. Darin lag Karls Ring. Julie mochte ihn nicht anfassen, er war ein seltsames Schmuckstück, das sie nie verstanden hatte. Kurz kam ihr das Hotel in Amsterdam in den Sinn, als sie den Ring das erste Mal an Karls Hand bemerkt hatte. Das schien eine Ewigkeit her zu sein.
    Orla starrte mit ihren trüben Augen ebenfalls auf den Ring. Dann murmelte sie etwas Unverständliches. Julie entging nicht, dass sich im Gesicht der Alten Angst, Wut und Hass widerspiegelten. »Orla, was hat es mit diesem Ring auf sich?«, fragte sie behutsam.
    Orla senkte den Blick. Julie rechnete nicht damit, eine Antwort zu bekommen, doch dann fing die alte Sklavin leise an zu sprechen: »Misi ... Mein Sohn hat nie etwas Unrechtes getan. Was die Götter zusammenführen, sollte der Mensch nicht missbilligen. Aber die Weißen sehen das anders. Eine weiße Frau und ein schwarzer Mann ... Wenn ein Mensch etwas nicht erzählen soll, dann nimmt man ihm die Zunge. Wenn man sich einen Menschen auf ewig zum Diener machen möchte, muss man ihm ebenfalls einen Körperteil nehmen, verbrennen und bei sich tragen. So war das vor Generationen, als unsere Ahnen noch im alten Land waren. Eine schlimme Strafe, die schlimmste überhaupt.«
    Fast hätte Julie den Ring fallen lassen. »O Gott! Du willst doch nicht sagen, dass in diesem Ring ...?«
    Orla zuckte nur mit den Achseln.
    »Pass auf Henry auf, ich bin gleich wieder da«, sagte Julie und stürmte aus der Hütte. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen, was hier vor Jahren passiert war. Aiku ... Felice ... das Kind!
    Sie rannte zwischen den Hütten hindurch, ohne Aiku zu finden. Als sie zum Plantagenhaus herüberlief, sah sie ihn am Fluss. Atemlos kam sie neben ihm zum Stehen.
    »Aiku ...« Er senkte den Blick. »... ich hatte keine Ahnung.«
    Sie nahm die Hand des Sklaven und legte den Ring hinein. Tränen rannen über sein Gesicht, als er ihr einen dankbaren Blick zuwarf. Am nächsten Morgen war er verschwunden, und wenige Tage später verschwand auch die alte Orla von Kiris Krankenlager.

Kapitel 13
    Kiri wurde von wirren Träumen heimgesucht. Das Fieber quälte ihren Körper und ließ ihren Geist nur selten klar werden.
    Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie hier schon lag, sie wusste auch nicht mehr genau, was passiert war. Nur ganz langsam kehrten ihre Sinne zurück, konnte sie die Augen öffnen und erkennen, was um sie herum geschah.
    Ihre Sicht war verschwommen, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie gewahr wurde, dass irgendetwas mit ihren Augen nicht stimmte. Vorsichtig begann sie, ihr Gesicht mit der rechten Hand zu ertasten, bis eine fremde Hand ihr diese sanft fortzog.
    »Nicht, Kiri.«
    Kiri wusste, dass sie diese Stimme schon einmal gehört hatte, aber es dauerte eine Weile, bis sie sich erinnerte, wem sie gehörte. »Dany?«, fragte sie voller Freude.
    »Ja.« Er nahm ihre linke Hand und drückte sie.
    »Was ist passiert?«
    »Du hattest einen ...«
    »... Unfall«, fügte eine weitere Stimme hinzu.
    »Amru?«
    Wieder versuchte Kiri, sich an das Gesicht zu fassen. Dieses Mal ließ man sie gewähren. Vorsichtig ertastete sie mit den Fingern den Bereich um ihr linkes Auge. Die Haut war schmerzhaft geschwollen, und Kiri spürte eine große Narbe, die sich quer über das Auge zog. Sie erschrak und versuchte mit aller Kraft, es zu öffnen, aber nichts passierte.
    »Mein Auge? Was ist mit meinem Auge?«
    Sie wollte sich aufsetzen.
    »Bleib liegen, Kiri«, herrschte Amru sie an.
    Kiri versuchte, mit dem rechten Auge klar zu sehen,

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