Im Land der tausend Sonnen
bestechen?«
»Das habe ich nur getan, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich kann und werde meine Söhne nicht zur Fahnenflucht ermuntern.«
»Dann tu ich es.«
Für Erik und Ernst kam Fahnenflucht nicht in Frage, und ihre jüngere Schwester Adele zollte ihnen Beifall. Der bloße Gedanke, Hamburg verlassen zu müssen, entsetzte sie, diese schöne Stadt mit ihren liebevoll gepflegten alten Häusern, ganz zu schweigen von all ihren Freundinnen. Tagelang weinte und schmollte sie, und als der Englischlehrer eintraf, weigerte sie sich strikt, am abendlichen Unterricht im Wohnzimmer teilzunehmen.
»Wie du willst«, sagte Hubert. »Es ist allerdings schade, dass ein so hübsches Mädchen wie du nicht einmal in der Lage sein wird, einen Krug Milch zu kaufen.«
Allmählich schickte Adele sich ins Unvermeidliche – wenn auch widerwillig – und begann, sich an den Englischlektionen zu beteiligen. Sie lernte die Sprache schneller als alle anderen.
Hubert stellte Pastor Beitz seiner Familie vor, und alle waren entzückt von ihm, besonders Gabriele, die die Vorstellung, dass er mit ihnen reisen würde, äußerst tröstlich fand.
Dann trafen sie sich auch mit weiteren Mitgliedern seiner zukünftigen Gemeinde, zuerst mit den Bauersleuten Jakob und Frieda Meissner und ihrem siebzehnjährigen Sohn Karl. Die Bekanntschaft mit diesem gut aussehenden Burschen munterte Adele ganz ungemein auf, und Hubert bemerkte, wie ihr Murren nachließ.
Die meisten Mitglieder der Gruppe waren offenbar Bauern, kräftige, stille Männer, die großes Interesse an den Vorgängen auf den Versammlungen zeigten, aber wenig zu sagen hatten. Ihre Frauen saßen zusammen in den hinteren Reihen und kümmerten sich mehr um ihre eigenen Pläne als um die zahlreichen Fragen, die geklärt werden mussten. Manchmal erschienen auch einige junge Männer und Frauen, Pächter, die sich ihres Standes und ihrer Rechte nicht gewiss und daher völlig abhängig von Pastor Beitz’ Anleitung waren, der sich alle Mühe gab, ihnen Mut zuzusprechen und ihnen das Gefühl des Willkommenseins zu vermitteln. Dann war da noch Lukas Fechner, der als Pferdeknecht arbeitete, mit seiner schönen Frau Hanni, einer hinreißenden Blondine. Sie schien sehr verliebt zu sein, und Hubert vermutete, dass sie frisch verheiratet waren. Andere Leute kamen und gingen, manche tauchten nie wieder auf, und um die Kontinuität zu wahren, bat Pastor Beitz, dass jeder, wenn eben möglich, am Sonntagsgottesdienst in der Kirche St. Johannis teilnahm, und darauf einigte man sich.
Hubert war nicht immer einverstanden mit den Anträgen, die auf diesen Treffen zur Diskussion gestellt wurden, am wenigsten mit dem Vorschlag, im Voraus aus der gemeinsamen Kasse Land zu kaufen, unbesehen, damit sie sozusagen ihren eigenen Grund und Boden hatten, von wo aus sie planen konnten. Als vorsichtiger Mensch sprach er sich dagegen aus, wurde jedoch überstimmt.
»Wir brauchen es«, sagte Beitz. »Wir ziehen nicht in eine Stadt, sondern in die Wildnis. Wir brauchen eigenes Land, auf dem wir unsere Zelte aufschlagen können, damit wir nicht von anderen abhängig sind. Von dort aus werden wir mit Gottes Hilfe erfolgreich arbeiten, und unser Land wird der Standort unserer Kirche sein. Gepriesen sei der Herr.«
Huberts Stimme ging in Jubel und Applaus unter. Jetzt musste nur noch entschieden werden, wo genau sie das gemeinsame Land kaufen wollten, und John Henderson wurde beauftragt, sich in dieser Richtung umzuhören.
Hubert spürte bereits, wie er den Bindungen an Familie und Freunde mehr und mehr entglitt und sich stärker von der Begeisterung der »Auswanderer«, wie sie sich jetzt nannten, angezogen fühlte. Auf den Sonntagsgottesdienst folgte bei entsprechendem Wetter gewöhnlich ein Picknick, zu dem man neue Interessenten mitbrachte und sie ermutigte, sich der Gruppe anzuschließen. Beitz hat Recht, überlegte Hubert, wir alle verfolgen unseren Traum, aus den verschiedensten Gründen, und damit nicht zufrieden, versuchen wir auch noch, andere zu gewinnen, so groß ist unsere Begeisterung für den kühnen Plan. Er bemühte sich sogar, Klaus und seine Familie dazu zu überreden, doch Klaus fand die Idee größenwahnsinnig. Für ihn bedeutete die Wildnis das Abgeschnittensein von der Zivilisation, den Verzicht auf Kultur.
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