Im Land Der Weissen Wolke
gleich dunkel. Wo sagten Sie, sind diese Lager?«
Daphne seufzte. »Da kann ich dich nicht hinschicken, Mädchen, beim besten Willen nicht, und vor allem nicht bei Nacht. Du kämst garantiert nicht intakt wieder raus. Also wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als dir ein Zimmer zu vermieten. Die ganze Nacht.«
»Aber ich ... ich möchte nicht ...« Fleur wusste nicht, wie sie aus der Angelegenheit wieder herauskommen sollte. Andererseits schien sich kaum eine Alternative zu bieten.
»Kindchen, die Zimmer haben Türen, und die Türen haben Schlösser. Du kannst Zimmer eins haben. Das gehört sonst den Zwillingen, und die haben selten Kunden. Komm mit, ich zeig’s dir. Den Hund ...«, sie wies auf Gracie, die vor Fleur lag und sie mit dem altbekannten Collie-Blick anbetend ansah, »kannst du mitnehmen. Ist wahrscheinlich sauberer als die meisten Kerle. Du brauchst keine Angst zu haben«, fügte sie hinzu, als Fleurette zögerte. Dann stieg sie die Treppe hinauf.
Fleurette folgte nervös, doch im zweiten Stock ähnelte Daphne’s Hotel zu ihrer Erleichterung eher dem White Hart in Christchurch als einem Sündenpfuhl. Eine weitere blonde Frau – die der von unten verblüffend ähnlich sah – wienerte den Flur. Sie grüßte verwundert, als Daphne ihren Gast vorbeiführte.
Daphne blieb stehen und lächelte ihr zu. »Dies ist Miss ... Wie heißt du überhaupt?«, erkundigte sie sich. »Ich muss mir unbedingt ordentliche Anmeldeformulare anschaffen, wenn ich die Zimmer demnächst mehrstündig vermieten will!« Sie zwinkerte.
Fleurette überlegte hastig. Sicher war es nicht gut, ihren richtigen Namen zu nennen. »Fleurette«, antwortete sie schließlich. »Fleur McKenzie.«
»Verwandt oder verschwägert mit einem gewissen James?«, fragte Daphne. »Der soll auch so einen Hund haben.«
Fleur wurde schon wieder rot. »Äh ... nicht dass ich wüsste ...«, stammelte sie.
»Sie haben ihn übrigens gefangen, den armen Kerl. Und dieser Sideblossom von Lionel Station will ihn hängen«, erklärte Daphne, erinnerte sich dann aber an ihre Vorstellung. »Du hast es gehört, Mary – Fleur McKenzie. Sie hat eins unserer Zimmer gemietet.«
»Die ... die ganze Nacht?«, erkundigte sich auch Mary.
Daphne seufzte. »Die ganze Nacht, Mary, wir werden ehrbar. So, hier ist Zimmer eins. Komm rein, Mädchen!«
Sie schloss das Zimmer auf, und Fleurette betrat einen erstaunlich wohnlich eingerichteten kleinen Raum. Die Möbel waren schlicht, aus einheimischen Hölzern grob gezimmert, das Bett breit und blitzsauber bezogen. Überhaupt strahlte das ganze Etablissement nur so vor Sauberkeit und Ordnung. Fleur beschloss, an nichts anderes mehr zu denken.
»Es ist schön!«, sagte sie und meinte es ehrlich. »Vielen Dank, Miss Daphne. Oder Missis?«
Daphne schüttelte den Kopf. »Miss. In meinem Gewerbe verehelicht man sich eher selten. Wobei nach all meinen Erfahrungen mit Männern – und das sind viele, Kind – hab ich nichts Nennenswertes verpasst. So, dann lasse ich dich mal allein, damit du dich frisch machst. Mary oder Laurie bringen dir gleich Wasser zum Waschen.« Sie wollte die Tür schließen, doch Fleurette hielt sie auf.
»Ja ... nein ... ich muss mich erst um mein Pferd kümmern. Wo sagten Sie, ist der Mietstall? Und wo kann ich vielleicht noch etwas über ... meinen Verlobten erfahren?«
»Der Mietstall ist um die Ecke«, gab Daphne Auskunft. »Da kannst du dich erkundigen, aber ich glaube kaum, dass der alte Ron was weiß. Der ist sowieso nicht der Hellste, merkt sich garantiert nie einen Kunden, höchstens sein Pferd. Vielleicht weiß Ethan Bescheid, der Posthalter. Betreibt gleichzeitig den Laden und das Telegrafenamt. Du kannst es gar nicht verfehlen, hier schräg gegenüber. Aber beeil dich, Ethan macht gleich zu. Der ist immer der Erste im Pub.«
Fleurette bedankte sich nochmals und folgte Daphne die Treppe hinunter. Ihr war ebenfalls daran gelegen, schnell fertig zu werden. Wenn erst der Betrieb im Pub begann, verschanzte sie sich besser in ihrem Zimmer.
Der Laden war tatsächlich leicht zu finden. Ethan, ein dürrer, glatzköpfiger Mann mittleren Alters, räumte gerade die Auslagen ein, um zu schließen.
»Die Goldgräber kenn ich eigentlich alle«, antwortete er auf Fleurettes einleitende Frage. »Ich nehm ja die Post für sie an. Und da steht meistens nur so was drauf wie ›John Smith, Queenstown‹. Das holen sie sich dann hier ab, wobei sich bei den John Smiths schon mal zwei Burschen drum
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