Im Land Der Weissen Wolke
später mit voll beladenem Wagen zurückkamen, fehlte eigentlich nur noch ein Schuppen, um den Verkauf zu eröffnen. Was das betraf, hatte Fleurette nicht vorgesorgt, sondern mit beständigem schönem Wetter gerechnet. Der Herbst in Queenstown war allerdings regnerisch, und im Winter fiel Schnee. Immerhin hatte es in Queenstown in letzter Zeit keine Todesfälle gegeben. Der Friedensrichter stellte folglich sein Sarglager für den Verkauf zur Verfügung. Er war der Einzige, der nicht nach neuen Werkzeugen fragte. Dafür ließ er sich von Ruben die juristische Literatur erklären, für die so mancher Dollar aus McKenzies Vermögen draufgegangen war.
Der Verkauf der Ladung brachte das Geld allerdings schnell wieder herein. Die Goldsucher stürmten Rubens und Stuarts Geschäft; schon am zweiten Tag nach der Eröffnung waren sämtliche Werkzeuge ausverkauft. Die Damen brauchten etwas länger, um ihre Auswahl zu treffen – zumal die Frau des Friedensrichters sich zunächst ein wenig zierte, ihren Salon als Ankleidezimmer für alle weiblichen Wesen des Ortes zur Verfügung zu stellen.
»Sie können doch den Nebenraum des Sarglagers nehmen«, meinte sie mit einem missbilligenden Blick auf Daphne und ihre Mädchen, die bereits darauf brannten, die Kleider und Dessous anzuprobieren, die Fleur in Dunedin gekauft hatte. »Wo Frank sonst die Toten aufbahrt ...«
Daphne zuckte die Schultern. »Wenn da gerade frei ist. An mir soll’s nicht liegen. Tja, und wenn nicht – wetten, dass noch nie einer von den Kerlen einen so schönen Abgang hatte?«
Es war leicht, Stuart und Ruben zu einer weiteren Fahrt nach Dunedin zu überreden, und nach der zweiten Verkaufsaktion war Stuart bis über beide Ohren in die Tochter des Friseurs verliebt und wollte auf keinen Fall zurück in die Berge. Ruben hatte die Buchführung des kleinen Geschäfts übernommen und stellte zu seiner Verwunderung fest, was Fleurette längst wusste: Jede der Fahrten brachte erheblich mehr Geld in die Kasse als ein Jahr auf den Goldfeldern. Ganz abgesehen davon, dass er sich viel eher zum Kaufmann eignete als zum Goldgräber. Als die letzten Schwielen und Verletzungen an seinen Händen geheilt waren, nachdem er sechs Wochen lang nur die Feder statt Schaufel und Spitzhacke führte, war er vollständig für die Geschäftsidee gewonnen.
»Wir sollten einen Schuppen bauen«, meinte er schließlich. »Eine Art Warenhaus. Dann könnten wir auch das Sortiment vergrößern.«
Fleurette nickte. »Haushaltsgegenstände. Die Frauen benötigen dringend ordentliche Töpfe und schönes Geschirr ... Nun wink nicht gleich ab, Ruben. Auf die Dauer wird die Nachfrage nach solchen Waren steigen, denn es wird mehr Frauen geben. Queenstown wird eine Stadt!«
Sechs Monate später feierten die O’Keefes die Eröffnung des »O’Kay Warehouse« in Queenstown, Otago. Der Name war Fleurette eingefallen, und sie war sehr stolz darauf. Neben den neuen Verkaufsräumen besaß das junge Unternehmen inzwischen zwei weitere Wagen und sechs schwere Kaltblutzugpferde. Fleurette konnte ihre Cobs also wieder reiten, und die Toten der Gemeinde wurden erneut stilvoll von Pferden zum Friedhof gezogen, statt mit dem Handkarren abgeliefert zu werden. Stuart Peters hatte die Handelsverbindungen mit Dunedin gefestigt und kündigte daraufhin seine Stellung als Chefeinkäufer. Er wollte heiraten und war die ständigen Fahrten zur Küste leid. Stattdessen eröffnete er mit seinem Anteil am Gewinn eine Schmiede in Queenstown, die sich gleich als erheblich ergiebigere »Goldgrube« erwies als jede der umliegenden Minen. Fleurette und Ruben heuerten an seiner statt einen älteren Goldgräber als Leiter des Fuhrunternehmens an. Leonard McDunn war gelassen, verstand sich auf Pferde und wusste auch seine Leute gut zu nehmen. Fleurette machte sich lediglich Sorgen wegen der Lieferungen für die Damen.
»Ich kann ihn nicht ernstlich Dessous auswählen lassen«, klagte sie Daphne ihr Leid, mit der sie sich, zum Entsetzen der inzwischen drei ehrbaren Frauen in Queenstown, angefreundet hatte. »Er wird ja schon rot, wenn er mir nur die Kataloge mitbringen soll. Zumindest jedes zweite oder dritte Mal werde ich mitfahren müssen ...«
Daphne zuckte die Schultern. »Schick meine Zwillinge. Sie sind zwar nicht die Klügsten – Verhandlungen und so etwas kann man ihnen nicht überlassen. Aber sie haben einen guten Geschmack, darauf hab ich immer Wert gelegt. Sie wissen, wie man sich als Dame kleidet und natürlich
Weitere Kostenlose Bücher