Im Land des Falkengottes. Amenophis
ausgelassen wie bei uns in Ägypten. Es fiel mir deswegen nicht schwer, vor allem auf Merit zu achten. Immer wieder trafen sich unsere Blicke und sagten uns, dass wir es eilig hatten, an den Nil zu kommen.
Zuletzt war ich froh, als unsere kleine Karawane auf dem Nachhauseweg war. Ich zog die Vorhänge unserer Sänfte zu. Merit sang leise das Lied von dem kleinen Mädchen. Das spärliche Licht der Fackelträger reichte gerade aus, dass wir unsere Gesichter sehen konnten. Ihr Kopf lag mit geschlossenenAugen auf meiner rechten Schulter, während mein rechter Arm sie umfasste und die Hand ihren Hals streichelte. Mit der linken Hand strich ich ihr die Haare aus der Stirn, dann küsste ich sie. Erst ihre linke Schulter, den Hals, die Wange, den Mund. Zärtlich sanft berührten sich die Lippen, zaghaft, immer wieder. Dann innig und leidenschaftlich, bis wir den Palast ihres Vaters erreicht hatten.
Lange lag ich mit offenen Augen wach im Bett, dachte an zu Hause, an die Tage in Babylon, immer wieder an Merit und summte unser Lied von dem kleinen Mädchen.
Trotz aller Freude über die baldige Heimkehr fiel mir der Abschied vom Euphrat schwer. Wir ließen dort viele lieb gewonnene Menschen zurück. An den folgenden zwei Tagen kamen noch einige von ihnen zum Palast Imreschs, wünschten uns eine glückliche Fahrt und gaben uns Geschenke mit.
Schließlich verabschiedeten wir uns früh am Morgen, lange vor Sonnenaufgang, von Fürstin Scharruwa und von den Hausvorstehern Imreschs. Marbiti, der so lange mein treu sorgender Diener gewesen war, schenkte ich mit Erlaubnis Imreschs einen meiner goldenen Armreifen. Er war darüber außer sich vor Freude, reichte das Geschenk doch aus, um damit in Babylon eine Familie zu gründen und einige Zeit unbesorgt leben zu können. Als Letzte bestieg Merit mit ihrer Hofdame die kleine Sänfte, welche von zwei Eselinnen getragen wurde. Der Abschied von ihrer Mutter fiel ihr gewiss schwer, denn wer wusste schon, wann sich Mutter und Tochter wieder sehen würden, oder ob es gar ein Abschied für immer war.
Unsere Rückreise verging wie im Flug. Imresch kam mit uns, begleitet von sechzig Soldaten König Kurigalzus, welche uns, die Mädchen und deren reiche Mitgift bewachten. Durch einen Boten ließ ich Nimuria unsere Heimkehr melden, und so erwarteten uns an der Grenze zu Unterägypten Soldatender königlichen Leibgarde, angeführt von unserem Freund Saatum. Nach weiteren zwölf Tagen erreichten wir bei Athribis das Niltal. Jetzt war ich wirklich in Ägypten: Das grüne Ufer, dicht bewachsen mit Sesbaniasträuchern, Nilakazien und Johannisbrotbäumen, erstreckte sich von Nord nach Süd, so weit das Auge reichte. Überall duftete es nach diesen mir so vertrauten Bäumen, nach Dill, der hier viel angebaut wurde, nach Kümmel und den süßen Sykomorenfeigen, in deren Schatten Alte schliefen und Kinder spielten. Ich sah unsere Tempel und ihre Priester. Ich sah unsere Soldaten und unsere Bauern, und sie alle trugen unsere Kleidung: den schlichten weißen Schurz, wie er seit urewigen Zeiten getragen wurde. Dann zog unsere Karawane hinunter ins Tal und dort von Dorf zu Dorf, bis zu den großen Pyramiden, die im Westen, jenseits des Flusses in den Himmel ragten. Ich zeigte Merit die Grabanlagen des mächtigen Chufu, seines Nachfolgers Chafre und die dessen Sohnes Menkaure.
Als wir in die Nähe von Tura kamen, ließ ich es mir nicht nehmen, mit Imresch, Merit und Senu einen Abstecher in die Steinbrüche zu unternehmen, während unser Tross langsam weiterzog. Merit kannte natürlich längst die Geschichte von den Grabräubern und von meiner Errettung durch Amenophis, und umso ergriffener war sie, als sie jetzt vor dem Gedenkstein stand, welchen ich für Ameni aufgestellt hatte.
In Men-nefer war längst alles auf unser Eintreffen vorbereitet, und als wir nach Tura einbogen, schickte Saatum einen letzten Boten voraus, um unsere Ankunft in der Stadt für den späten Nachmittag verbindlich anzukündigen.
Nach zehn Monaten stand ich jetzt wieder vor den Mauern Men-nefers. Ich war wieder zu Hause.
ACHT
Das Herz birgt das Wissen, und was es versteht,
fasst die Zunge in Worte.
S eit der Rückkehr der Karawane Ptahmays aus dem Libanon hatte ich eine Vorstellung davon, welchen Empfang man uns in Men-nefer bereiten würde. Vor den Mauern der Stadt hielten sich unzählige Menschen auf und winkten uns freundlich zu. Es waren die einfachen Menschen, Bauern und Tagelöhner, die in den kleinen Dörfern und
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