Im Land des Falkengottes. Amenophis
schoben uns durch das Gedränge und verstanden vor Lärm kaum unsere eigenen Worte. Einer pries uns schreiend seine Melonen an, ein anderer Knoblauch und Oliven. Ein Händler mit Zierdolchen lief uns sogar über den halben Markt hinterher, und wir wurden ihn erst los, nachdem ihm Senu eine Tracht Prügel angedroht hatte.
Im südlichen Teil der Stadt gab es auffallend viele Herbergen. Hier wohnten vor allem die ausländischen Gesandten mit ihren Familien, Dienern und Sklaven, und hier kehrten die zahlreichen Händler ein, die von überallher nach Waset kamen. Bereits mitten am Tage drang aus einigen Schänken lautes Lachen und Johlen, erklang Musik, und die Männer klatschten zum Tanz der Mädchen in die Hände. Wie mochte es hier abends oder nachts zugehen!
Zuletzt war ich froh, wieder in unserem Palast zu sein, weit weg von all dem Lärm und den vielen Menschen. Zum ersten Mal in meinem jungen Leben war mir bewusst, wie anders ich aufgewachsen war als die große Mehrzahl der Menschen in unserem Land.
Aufgeregt und aufgewühlt wollte ich Amenophis abends von meinem Tag berichten, aber er war zu müde. Angesichts der ihm bevorstehenden Bürde, derer er sich mehr und mehr bewusstwurde, war er zudem sehr ernst. Nach einem nahezu wortlosen Abendmahl erhob er sich sehr früh, umarmte mich kurz zum Abschied und ging schlafen.
Ich blieb alleine zurück auf der uns so lieb gewordenen Dachterrasse des Palastes, schaute auf die Stadt, ihre Paläste, Tempel und Gärten und wäre zu gerne noch einmal in eine der Tavernen zurückgekehrt, zu den Händlern, Fremden, den einfachen Leuten. Ich wusste freilich, dass das nicht möglich war und dass mir Amenophis diese Eigenmächtigkeit gerade zu diesem Zeitpunkt nicht verziehen hätte.
Aber irgendwo in den Weiten des Palastes vernahmen meine empfindlichen Ohren leise, zarte Musik. Erst war ich mir nicht ganz sicher, aber je mehr ich mich anstrengte, umso deutlicher hörte ich die Klänge einer Harfe. Ich fand an diesem Abend einfach keine Ruhe, und so machte ich mich, von meinen Dienern unbemerkt, auf die Suche. Was ich tat, war nicht ungefährlich, denn fast überall standen Soldaten der Leibwache, die für das Leben ihres Herrschers verantwortlich waren. In den Tagen unserer Anwesenheit war mir jedoch der Palast vertraut geworden, und so kannte ich jeden Gang, fast jeden Raum und auch so manche geheime Türe. Schließlich war ich am Ziel: An einer langen Terrasse am Garten des Palastes, unter bunt bemalten Arkadengängen brannte in einem Raum noch Licht, und von dort kam das Harfenspiel. Lautlos schlich ich mich an das Fenster heran. Der Harfner, ein etwa dreißigjähriger Mann, war blind. Seine völlig weißen Augäpfel starrten regungslos irgendwohin ins Nichts. Vor ihm übte eine etwa Achtzehnjährige ihren kunstvollen Tanz. Sie hatte langes, rotbraunes Haar, und um die Hüften trug sie ein kunstvoll gefaltetes, schwarz-rot gestreiftes Tuch, welches gerade das Nötigste bedeckte. Im Übrigen war sie nackt. Das Mädchen war von bezaubernder Schönheit. Betört von der Musik und verwirrt von dem faszinierenden Anblick derSchönen, wagte ich mich mehr und mehr aus meiner Deckung, bis ich mitten im Fenster stand. Sie bemerkte mich, lächelte mir kurz zu, um danach umso inniger, konzentrierter und wilder weiterzutanzen. Zuletzt, sie stand mit dem Rücken zu mir, bog sie sich mehr und mehr nach hinten, bis ihre Hände und ihr Haar den Boden berührten und mich ihr strahlendes Gesicht verkehrt herum ansah. Da erst wurde mir bewusst, dass sie mir, nur mir etwas vorgetanzt hatte, und ich schämte mich. Ich schämte mich plötzlich so sehr, dass ich wie von Hyänen gehetzt durch den Palast und in mein Zimmer lief. Ich stürzte geradewegs in mein Bett, zog das Fliegennetz zu und das dünne Tuch über meinen ganzen Körper. Hoffentlich war sie mir nicht gefolgt!
Es dauerte, bis sich meine Aufregung gelegt hatte, und jetzt begann ich, mich für meine würdelose Flucht zu schämen. Ich wusste gar nicht, weswegen ich davongelaufen war, und überlegte, wie angenehm ich mich vielleicht mit der Schönen unterhalten hätte und ob sie mich vielleicht in den Garten begleitet hätte. Diese Möglichkeit war jedenfalls vertan.
Es dämmerte gerade, als ich geweckt wurde. Alle blickten sehr ernst, es wurde kaum ein Wort gesprochen. Ich wurde wie jeden Tag gewaschen, reinigte meinen Mund mit Natron, legte meinen schönsten Schurz an und steckte den Prunkdolch, den mir Amenophis einst in
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