Im Land des Falkengottes. Amenophis
Gefühl dafür, wo die Grenzen waren? Glaubte er wirklich, dass er mich für alles benutzen konnte?
Und doch: Ich war und blieb der einzige Mensch, der ihm nicht wie einem Gott gegenübertreten musste, sondern der mit Amenophis wie mit einem Menschen reden durfte. Ich war sein einziger Freund, so wie er der einzige Freund war, den ich hatte. Wir waren bedingungslos aneinander gekettet. Und so lachte ich dann doch still vor mich hin bei dem Gedanken, man könnte mir eines Tages den Titel «Einziger Kuppler Seiner Majestät» verleihen.
Inena fehlte mir sehr. Die Nachtigall sang auch in dieser Nacht für mich allein.
Am anderen Morgen stand ich schon sehr zeitig auf, um noch vor der Besprechung mit Amenophis und Vater Cheruef Anweisungen geben zu können, die nur mich und meinen Aufgabenbereich betrafen. Cheruef sollte mir Lagepläne aller unserer Steinbrüche besorgen und wenn möglich Unterlagen über deren bisherige Erträge. Zudem erteilte ich die Anweisung, dass sich der oberste Landvermesser von Waset sowie der Grabenmeister und der Vorsteher der Kornspeicher umgehend bei mir zu melden hätten. Schließlich entsandte ich einen Offizier der Leibgarde, der in kürzester Zeit den Baumeister Amenophis, Sohn des Hapu, zu mir zu bringen hatte. Meine letzte Aufgabe bereitete mir die größten Sorgen. Wären wir in Men-nefer, gäbe es damit weniger Probleme, denn dort befand sich der Harem von Osiris Thutmosis, und hierüber konnte jetzt Amenophis alleine und ungefragt verfügen wie erwollte. Doch Men-nefer war weit und der Wille Pharaos eindeutig. Ich konnte ja auch unmöglich jemanden beauftragen, eine junge Frau zu suchen, weil Seine Majestät …
Nein, so ging das nicht.
Derweil meldete sich mein Leibwächter Senu, um mir mitzuteilen, dass die Besprechung mit Pharao etwas später beginnen würde.
«Sag mal Senu», fiel es mir plötzlich ein, «was würdest du tun, wenn ich für eine Nacht ein Mädchen hier haben möchte, von dem niemand etwas zu wissen braucht, du verstehst schon, oder?»
Senu nickte artig, grinste und meinte dann: «Das kommt darauf an, wen ihr möchtet und wie viel ihr ausgeben wollt.»
«Ich möchte die schönste und erfahrenste Frau von Waset, gleich, was sie kostet. Und Senu: die Verschwiegenste! Hörst du: die Verschwiegenste! Wenn mein Vater, oder womöglich Seine Majestät irgendetwas davon erfährt, sind ein paar Leute erledigt. Aber vor mir sind das die Frau und du! Hast du verstanden, Senu?»
«Wann möchtet Ihr die Frau sehen, mein Herr?», fragte er und hielt gleichzeitig die rechte Hand auf. Ich holte aus meiner Truhe zwei kleine Lederbeutel mit Goldstücken und gab sie ihm.
«Einer ist für dich, einer für die Frau. Pass auf, Senu: Um Mitternacht ist das Mädchen hier in meinen Räumen und nimmt ein Bad. Du sorgst dafür, dass sich in meinen Gemächern und ihrer Umgebung niemand herumtreibt. Dann kommst du auf die Dachterrasse heraus und teilst mir einfach mit, dass wunschgemäß mein Bad eingelassen ist. Dann verschwindest auch du. Ich will auf dem Weg von der Terrasse zu meinem Gemach niemanden sehen. Hörst du: niemanden! Und morgen früh bei Tagesanbruch stehst du im Garten vor meinem Balkon und bringst sie genauso unauffällig wieder weg.»
«Ich habe verstanden, mein Herr.»
«Du kannst dir ruhig den ganzen Tag Zeit lassen, Senu. Und wenn alles zu meiner Zufriedenheit erledigt ist, bekommst du morgen noch einmal einen solchen Beutel.»
«Ich habe verstanden, mein Herr», wiederholte sich Senu und verschwand.
Mir war elend. Sehr elend.
Als sich Amenophis in der Besprechung erkundigte, ob jeder mit der Erledigung der ihm erteilten Aufträge begonnen hatte, schaute er nur mich an. Da außer uns nur Vater anwesend war, durfte ich die vertraute Anrede gebrauchen: «Ja, Amenophis, alle», bestätigte ich kurz.
«Ausnahmslos alle?», hakte er nach.
«So ist es. Ausnahmslos alle.» Amenophis zog seine dichten schwarzen Augenbrauen nach oben und sagte zu Vater gewandt: «Na, da bin ich ja einmal neugierig!»
Vater wirkte verunsichert.
«Glaubt Ihr, Majestät, Ihr habt Eje zu viel aufgebürdet?»
«Nein, nein, Juja. Keineswegs. Ich bin fest davon überzeugt, dass Eje uns alle in Staunen versetzen wird.» Sowohl Ameni, als auch ich zogen die Mundwinkel schmunzelnd nach oben. Ich musste im Laufe des Tages nur irgendeine Gelegenheit finden, mit Amenophis alleine reden zu können, um ihn in den Ablauf des nächtlichen Abenteuers einzuweihen. Dazu bot sich die Zeit
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