Im Land des Regengottes
Heirat mit Welter, auch wenn ich nicht recht wusste, ob man das wirklich ein Glück nennen konnte.
Fräulein Hülshoff nickte. »Natürlich erinnere ich mich. Ich werde ihm gleich etwas hinausbringen.« Sie schöpfte noch einen Teller und war schon damit an der Tür, als sie sich noch einmal umwandte. »Ich bin wirklich überrascht, dass Sie mich so bald besuchen. Warum haben Sie nicht vorher geschrieben?«
»Ich bin nicht auf Besuch hier. Ich bin aus Bethanien geflohen. Meine Mutter ist vor sechs Wochen gestorben.«
»Ach du liebe Zeit.« Fräulein Hülshoff ließ den Teller sinken. Rote Suppe schwappte über den Rand und tropfte zu Boden, ohne dass sie es merkte. »Mein Beileid.«
»Danach war es für mich unerträglich auf der Station.«
»Unerträglich.«
»Herr Freudenreich. Er und ich … es geht einfach nicht.«
»Ja. Das glaubt man manchmal. Aber dann geht es doch.«
Was wollte sie damit sagen? Dass ich wieder zurück nach Bethanien sollte? Dass ihr eigenes Schicksal genauso unerträglich war wie meines oder sogar schlimmer?
»Wie geht es Ihnen?«, erkundigte ich mich. »Was ist das für ein Mann, mit dem Sie sich verheiratet haben?«
»Herr Welter?«, fragte Fräulein Hülshoff, als gäbe es außer ihm noch andere Ehemänner. »Oh, danke der Nachfrage, ich bin zufrieden. Sie werden ihn gleich kennenlernen.« Dann räusperte sie sich betreten und senkte die Augen auf die roten Suppenspritzer am Boden. »Herr Welter weiß nicht alle Dinge über meine Vergangenheit. Sie werden verstehen, dass … Ich habe keine Geheimnisse vor ihm, aber …«
»Von mir wird er nichts erfahren.«
Während sie Petrus seine Suppe brachte, löffelte ich meine. Ich schaffte aber nur die Hälfte, den Rest brachte ich nicht hinunter. Die Rote Bete schmeckte sauer wie Essig und die Fleischbrocken, die in der Brühe schwammen, waren fad und zäh wie Rindsleder. Bevor Fräulein Hülshoff zurückkam, kippte ich den Rest zurück in den Topf. Mein Magen knurrte immer noch.
Herr Welter war groß und kräftig, er hatte einen geschwungenen Schnurrbart und eine spiegelglatte Glatze, die von einem braunen Haarkranz umgeben war. Wie ein See, um den Gestrüpp wuchert. Über seine Nase und seine Wangen zog sich ein feines Geflecht aus roten Äderchen.
»Guten Abend, Weibchen«, begrüßte er seine Frau.
Er nannte sie tatsächlich Weibchen. Ich wartete darauf, dass Fräulein Hülshoff, die jetzt Welter hieß, ihn scharf zurechtwies oder ohrfeigte oder vor Empörung in Ohnmacht fiel. Aber sie gab ihm nur die Hand. »Guten Abend, Welter. Stell dir vor, wir haben Besuch. Fräulein Hauck aus Bethanien. Ihre Mutter ist vor ein paar Wochen verschieden.«
»Mein Beileid.« Herr Welter reichte mir die Hand. »Besuch ist eine gute Sache. Ist recht einsam hier auf der Farm, das kann man wohl sagen. Da kann einem Weibchen der Tag schon lang werden.«
Er nahm die Bücher vom Stuhl neben mir und verfrachtete sie auf den Boden, dann setzte er sich ebenfalls. Seine Frau stellte ihm einen Teller Suppe hin. Herr Welter begann so hastig zu essen, als hätte er Angst, dass sie sie ihm wieder wegnehmen könnte. Im gleichen Tempo verschlang er noch zwei weitere Portionen. Danach wischte er sich mit dem Hemdsärmel über den Mund. »Ah«, machte er zufrieden.
Fräulein Hülshoff lächelte geschmeichelt. »Ich habe das Rezept aus dem Kochbuch deiner Mutter.«
»Das schmeckt man.« Er klopfte sich auf den Bauch. »Wie lange gedenkt sie denn bei uns zu bleiben?«, fragte er dann mit einem flüchtigen Seitenblick auf mich.
»Fräulein Hauck ist in einer gewissen Zwangslage«, erklärte seine Frau. »Nach dem Tod ihrer Mutter musste sie die Missionsstation verlassen und weiß nun nicht, wohin sie gehen soll.«
»Aha«, sagte Herr Welter. »Sie hat aber doch gewiss nicht vor, sich hier bei uns niederzulassen?«
Was sollte man darauf antworten? »Nein«, sagte ich, bevor seine Frau etwas entgegnen konnte. »Bestimmt nicht. Aber ich dachte, dass Fräulein Hülshoff … ich meine, Ihre Frau … mir vielleicht weiterhelfen könnte.«
»Inwiefern?«, fragte er, wobei er jedoch nicht mich ansah, sondern seine Frau.
Ich zuckte die Schultern. »Brauchen Sie keine Hilfe auf Ihrer Farm? Ich habe früher in Deutschland auf einem Bauernhof gearbeitet, ich kenne mich aus. Und ich scheue mich nicht vor der Arbeit …« Es war lächerlich, nun saß ich hier und erzählte Welter dasselbe, was Fräulein Hülshoff damals Freudenreich erklärt hatte . Und genau
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