Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
mir?«
Das Mädchen knickste vor ihm. »Was kann ich tun?«
»Gib im Stall Bescheid, dass sie mir ein Pferd satteln sollen. Ich möchte einen Ausritt unternehmen. Meine Reitkleidung müsste noch in meinem Zimmer sein.« Er nickte ihr zu und wollte sich schon umdrehen, als er plötzlich bemerkte, dass sie mit hochrotem Gesicht wie angewurzelt im Flur stand.
»Was ist? Beweg dich!«, fuhr er sie an.
Beth schüttelte den Kopf. »Das darf ich nicht. Euer Vater hat deutlich gemacht, dass Ihr nur mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis und in seiner Begleitung mit einem der Pferde einen Ausritt unternehmen dürft. Ich habe keine Ahnung, was er mit diesem Verbot erreichen will – aber Ihr müsst verstehen, dass ich nicht gegen seinen Befehl handeln will. Euer Vater hat ein sehr aufbrausendes Gemüt, Master Gregory.«
Er sah sie fassungslos an. »Mein Vater lässt mich nicht alleine vom Hof?«, fragte er nach. »Er sperrt mich ein wie einen kleinen Jungen?«
Beth schüttelte den Kopf. »Nein. Es geht doch nur um das Anspannen der Kutsche oder einen Ausritt …« Sie sah weiter auf den Boden und spielte verlegen mit der Spitze an ihrer Schürze.
Gregory dachte einen Augenblick lang nach. Wie weit war es zu den Courtenays? Einige Meilen, ein Ritt im flotten Trab von einer knappen Stunde. Wenn er kein Pferd hatte, dann musste er eben einen anderen Weg finden. Wozu hatte ihm der Herrgott schließlich zwei gesunde Beine gegeben?
»Du kannst gehen«, erlöste er das Dienstmädchen und rannte die Treppe wieder nach unten, schob sich durch die Tür und machte sich an den Koppeln vorbei in Richtung des Courtenay-Anwesens auf. Vergnügt pfiff er vor sich hin. So weit kam es noch – dass ihn sein Vater daran hindern könnte, seine Anne zu sehen. Er brauchte kein Pferd und keinen Bediensteten dafür, das war sicher. Die Sonne schien ihm ins Gesicht und machte den eiskalten Wind erträglich. Er war zufrieden mit sich.
Wenig später führte ihn der Weg durch ein Wäldchen. An einem kleinen Bach machte er eine Pause, um ein paar Schlucke zu trinken. Er beugte sich über das klare Wasser, als er plötzlich auf dem Weg das schnelle Herannahen einer Kutsche hörte. Die Pferde wurden von ihrem Kutscher offensichtlich zur Eile getrieben.
Neugierig sah Gregory auf. Die beiden großen Füchse, die den leichten Sportwagen zogen, dampften in der Kälte – und er hätte sie unter Hunderten erkannt. Ebenso wie den Mann an den Leinen: sein Vater, der mit wachsamer Miene und wütendem Gesicht Ausschau hielt. Noch bevor Gregory auch nur daran denken konnte, hinter einem kahlen Busch Deckung zu suchen, hatte ihn sein Vater auch schon entdeckt und riss an den Leinen, um die beiden Pferde zum Halten zu bringen.
»So sehr achtest du also meinen väterlichen Rat?«, rief er zornig. »Du machst auf dem Absatz kehrt und rennst zu diesem Mädchen hin, als ob du eine läufige Hündin verfolgst? Komm sofort hierher.«
Gregory sah über seine Schulter. Gab es einen Fluchtweg? Einen, auf dem ihm eine Kutsche unmöglich folgen konnte. Er hatte den Gedanken kaum fertig gedacht, als er ihn auch schon wieder verwarf. Wohin sollte er denn rennen? In Annes Arme – und dann? Irgendwann musste er wieder nach Hause, und dann war der Zorn seines Vaters sicherlich ungleich größer. Für heute musste er aufgeben, es gab bestimmt einen anderen Weg, um seiner Anne nahe zu kommen. Später. Morgen oder übermorgen, das versprach er sich.
Möglichst unbefangen näherte er sich der Kutsche und schwang sich neben seinen Vater auf den Bock. »Was soll ich tun, wenn du mir die Pferde verweigerst, Vater? Auf meinem Zimmer sitzen und auf bessere Zeiten warten?«
Sein Vater nickte. »Ich habe gehofft, dass du so vernünftig bist. Aber leider habe ich mich getäuscht. Deswegen wirst du noch heute deine Sachen packen lassen und morgen nach London abreisen. Tante Margery weiß schon Bescheid und erwartet dich. In der Londoner Gesellschaft wirst du sicher viele interessante Bekanntschaften machen. Und auf andere Gedanken kommen als dieses Courtenay-Mädchen. Dein Onkel wird dich bestimmt auch mal auf einen Ausflug durch das nächtliche London mitnehmen. Damit du lernst, wozu Frauen wirklich gut sind.«
Er wandte sich seinem Sohn mit drohendem Gesicht zu. »Aber wage es nicht hierherzukommen, um sie zu sehen. Ich verspreche dir: Dann wirst du meinen wahren Zorn erleben – und du wirst dir wünschen, dass du dich mir niemals widersetzt hättest.«
London. Gregory biss
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