Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)

Titel: Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
Vom Netzwerk:
sich auf die Lippe. Es gab schlimmere Orte, in die man zur Strafe geschickt wurde. Und vielleicht hatte Tante Margery eher ein Herz für junge Liebende. Er würde es schon noch schaffen, zu Anne zu kommen. Ganz bestimmt.

KORORAREKA, 1831

    8.
    Samuel Marsden musterte die junge Frau, die ihm gegenüber auf dem einfachen Stuhl saß. Ihre Lippen waren rissig, die Haut blass mit hektischen roten Flecken. Offensichtlich nahm sie es ziemlich mit, wenn sie ihm von ihrer idyllischen Vergangenheit in Dorset berichtete. Er war sich nicht mehr sicher, wann sie angefangen hatte, ihm etwas von sich zu erzählen. War es erst vor ein paar Minuten gewesen – oder saß er hier schon Stunden? Anne war in den letzten Monaten immer wieder zu ihm gekommen, hatte sich in seiner kleinen Stube auf den immer gleichen Stuhl in der Ecke gesetzt – hin und wieder einfach minutenlang nur vor sich hin gestarrt, ohne ein Wort zu sagen. An anderen Tagen versuchte sie ihn mit Belanglosigkeiten zu unterhalten – oder sie redeten über die britische Politik der Nichteinmischung, die dafür sorgte, dass diese Inseln allmählich der Anarchie anheimfielen. Marsden war sich nicht sicher, was Anne mit ihren Besuchen eigentlich bezweckte. Er hatte von ihrem Ruf gehört – angeblich sprach Anne mit niemandem. Bei ihren Besuchen war sie jedoch immer offener geworden, ihre Verstocktheit wich jedes Mal mehr. Er erinnerte sich noch, wie sie einen ganzen Nachmittag mit ihm über die Gefahren der langen Überfahrt geredet hatte. Offensichtlich hatte sie während ihrer drei Monate auf dem Weg nach Neuseeland alles genau beobachtet. »Wenn es nur Schiffe gäbe, die nicht mehr auf die Kraft des Windes angewiesen wären«, hatte sie erklärt. »Das wäre doch vor Indien einfach wunderbar. Dann müsste man sich nicht mehr ärgern, dass sich wochenlang kein Lüftchen regt!« Marsden hatte gelacht. Dieses Mädchen hatte wirklich wilde Ideen. Wie sollte sich ein Schiff bewegen, das keine Segel oder Ruder hatte?
    Doch heute hatte sie einen großen Schluck von seinem Kräutertee genommen und ihn dann entschlossen angesehen.
    »Es gibt einen Grund, warum ich Euch so oft besuche. Ich möchte Euch eine Geschichte erzählen. Meine Geschichte«, erklärte sie ihm. »Wahrscheinlich ist das Gleiche ähnlich schon öfter vorgekommen – aber ich frage mich immer wieder, ob ich an irgendeiner Stelle anders hätte handeln können, um nicht hier in diesem Loch zu landen. Denn mir kommt es vor, als würde mein ganzes Leben unweigerlich darauf zulaufen, dass ich am Schluss hier in diesem Zimmer sitze, um mich hin und wieder davon zu erholen, dass ich allen Männern zu Willen sein muss. Und das wäre doch mit dem freien Willen der Menschen nicht zu vereinen, mit dem unser Gott uns angeblich ausgestattet hat. Oder wie seht Ihr das?« Sie blickte ihn fragend an.
    Marsden zuckte mit den Schultern. »Das kann ich erst beurteilen, wenn ich deine ganze Geschichte kenne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nie eine Wahl gehabt hast. Du hättest hier nicht als leichtes Mädchen enden müssen.«
    »Was aber, wenn es nicht das Ende ist? Wenn es doch der Anfang zu etwas Gutem ist und ich jetzt erst eine Prüfung erdulden muss, um am Ende gestärkt daraus hervorzugehen?« Sie biss sich auf die Lippen. »Ihr seht, Master Marsden, ich will einfach nicht glauben, dass Kororareka die unvermeidliche Endstation in meinem Leben ist. Da muss noch mehr sein.«
    »Dann fang doch einfach an.« Er sah sie auffordernd an. Da war es draußen auf der staubigen Straße noch hell gewesen. Inzwischen herrschte längst eine tiefe Finsternis, die nur vom Mond und den glitzernden Sternen erleuchtet war. Bis zu dieser Straße drang der Lärm der Wirtshäuser nur gedämpft.
    Anne hatte noch einmal gezögert, dann fing sie an. »Ich bin in Dorset geboren, im Haus meines Vaters. Er hatte ein großes Gestüt für Rennpferde, ich bin also mit diesen Tieren groß geworden. Edle Vollblüter, schnelle Rennen – und mein Vater ein erfolgreicher und geachteter Mann …«
    Die nächsten Stunden erzählte sie ihm von ihrem längst vergessenen Leben. Sie endete, als sie von der Schuld ihres Vaters gegenüber Mallory und dem Abbruch des Kontaktes mit Gregory sprach. »Vieles habe ich erst sehr viel später erfahren. Mein Vater konnte die Sache mit dem Schuldschein erst gestehen, als wir nur noch eine Woche in unserem alten Zuhause vor uns hatten …«
    Sie sah aus dem Fenster und erinnerte sich wieder an diesen milden

Weitere Kostenlose Bücher