Im Land des Silberfarns: Roman (German Edition)
Schritten erreichte er die Tür und blinzelte einen Augenblick lang verwirrt in die grelle Sonne. Es war immer noch heller Vormittag, das konnte man in der fensterlosen Dämmerung dieser Kaschemme leicht vergessen. Entschlossen bog er in die Richtung ab, in der die meisten Häuser lagen. Es dauerte nicht lange, und er traf auf eine weitere Hauptstraße, auf der noch mehr Männer herumliefen. Matrosen auf der Suche nach etwas Zerstreuung, bevor sie erneut in See stechen mussten – das war ihm mittlerweile klar. Ob er wohl zu diesem Jameson gehen und nach Anne fragen sollte? Immerhin bis jetzt seine einzige Spur – und wenn dieser Mann sich nicht an die Schönheit aus England erinnerte, dann konnte Gregory diesen Verdacht wenigstens wieder fallen lassen.
Der nächste Mann, den er fragte, wies ihm den Weg. »Immer geradeaus, dann rechts der Bau mit dem tief hängenden Dach und der schmalen Veranda. Stehen ein paar Mädchen davor – aber du musst vor allem eine der Pasteten essen, die sind wirklich ein Gedicht!«
Gregory nickte und ging in die Richtung, die ihm der Mann gezeigt hatte. Er musste nicht lange laufen, dann sah er das Haus. Im Gegensatz zu den meisten anderen hatte es offensichtlich noch ein paar Räume unter dem Dach. Zwei Mädchen standen davor, hielten ihre Gesichter in die Sonne und schienen den warmen Tag zu genießen. Keine von beiden war Anne, stellte er beruhigt fest. Wahrscheinlich wollte der Säufer aus der anderen Kneipe nur eine gute Geschichte erzählen, um an sein Bier zu kommen. War ihm ja auch gelungen.
Entschlossen ging Gregory an den beiden Frauen vorbei und schob die Tür zum Innenraum auf. Sofort stieg ihm ein köstlicher Geruch nach frisch gebackenem Teig und würzigem Fleisch in die Nase. Kein Wunder, es war bald Mittagszeit, und sicher wollten all die hungrigen Seeleute hier im Raum dann auch etwas essen. Gregory ließ sich auf einen der wenigen freien Plätze fallen und nickte den anderen Männern am Tisch zur Begrüßung freundlich zu.
Augenblicke später stand eine Frau mit einem Ausschnitt, der entschieden zu viel verriet, vor ihm. »Schwein oder Fisch?«, fragte sie ihn, während sie ungefragt einen großen Becher Bier vor ihm abstellte. Wenn er weiter so viel trinken musste, um seine Anne wiederzufinden, würde er noch vor Sonnenuntergang betrunken unter einem Strauch liegen. Er bestellte eine Pastete mit Schweinefleich – so wie fast jeder am Tisch. Seeleute machten sich meistens recht wenig aus Fisch, das hatte er schon öfter festgestellt.
Außerdem war die Pastete mit Schweinefleisch und Kräutern unglaublich lecker. Noch während der ersten Bissen beschloss Gregory, mindestens noch eine zweite zu essen. Allein für diesen Geschmack hatte sich der Ausflug in diese Kneipe schon gelohnt – kein Wunder, dass kaum noch ein Tisch frei war. Zufrieden kauend wandte er sich an den Mann, der neben ihm saß.
»Ich suche ein Mädchen, das vor etwa zwei Jahren hier nach Kororareka gekommen ist. Sehr groß, sehr dünn, schwarze Locken. Heißt Anne. Ihr kennt sie nicht zufällig?« Er beobachtete sein Gegenüber genau, um zu sehen, ob sich irgendeine Form von Wiedererkennen in dessen Gesicht abzeichnete.
Nichts. Der Mann biss in seine Pastete, wischte ein wenig Bratensaft ab, der ihm über das Kinn lief, und schüttelte den Kopf. »Bin das erste Mal hier, tut mir leid. Aber ich bin mir sicher, dass ich nachher noch eine der Frauen hier näher kennenlernen werde …« Dabei lachte er gutmütig.
Die anderen Männer am Tisch stimmten ein. Einer von ihnen, ein älterer Mann mit grauen Haaren, die er sorgfältig zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, beugte sich allerdings vor und erklärte: »Aber das Mädchen, das der Gentleman da eben beschrieben hat – das hättest du leider nie kennengelernt. Das war das beste Pferd hier in Jamesons Stall, die war nicht für die einfachen Kerle, so wie wir es sind.«
»Anne?«, fragte Gregory verblüfft nach. »Sie war hier? Das kann nicht sein!«
»Groß, dünn, immer von oben herab und dann diese Locken … Ich denke, es gibt nicht viele Frauen, auf die so eine Beschreibung passt. Es könnte also schon sein, dass Euer Mädchen hier gearbeitet hat. Wir haben sie nur die ›hochmütige Anne‹ genannt. Hat immer getan, als ob sie etwas Besseres wäre. Sicher, sie sah gut aus …« Er zuckte mit den Schultern. »Aber Jameson hat sie auch nur für gutes Geld hergegeben. War sein Goldesel, diese Anne.« Er schnalzte mit der Zunge, um noch
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