Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
sehe, wird mir doch sehr traurig ums Herz, dass ich nicht mehr hier sein werde, um zu erleben, wie der Junge zum Mann heranwächst.‹« Mac riskierte einen schnellen Blick auf Ripley und sah, dass sie ihn anstarrte, als ob sie ihn noch nie zuvor gesehen hätte. Es ist wohl das Beste, ich lese ihr auch noch den Rest vor, dachte er. Gleich jetzt, damit wir es hinter uns haben. »›Es macht mich sehr traurig, dass sich meine Mutter damals gegen das Leben entschied‹«, fuhr er zu lesen fort, »›dass sie sich die Freude versagte, die ich heute empfunden habe, als ich miterleben durfte wie eines meiner Kinder ein neues Leben gebar.
Die Zeit vergeht rasch. Was von diesem Jungen kommt, wird eines Tages die Dinge wieder ins Lot bringen, wenn unsere Kinder sich erinnern und eine kluge Wahl treffen.‹«
Ripley hielt ihr Weinglas so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten, obwohl sie ganz vergessen hatte, dass sie das Glas noch immer in der Hand hielt. »Wo hast du das her?«
»Im letzten Sommer habe ich ein paar Kisten auf dem Dachboden meines Elternhauses durchsucht. Und dabei habe ich das Tagebuch gefunden. Ich hatte schon einmal in diesen Kisten gestöbert, ohne jedoch auf das Buch zu stoßen. Es machte meine Mutter früher immer ganz wahnsinnig, dass ich ständig in dem alten Plunder herumwühlte. Ich weiß nicht, wieso ich nicht schon eher auf das Tagebuch gestoßen bin – es sei denn, man schließt sich der Theorie an, dass ich es nicht eher finden sollte. Dass es erst im letzten Juni für mich da war.«
»Im Juni.« Als sie ein Schauder überlief, sprang Ripley vom Sofa auf. Nell war im Juni auf die Insel gekommen, und die drei Schwestern waren wieder vereint gewesen. Sie spürte, dass Mac etwas sagen wollte, und hob abwehrend die Hand. Sie musste sich konzentrieren.
»Du nimmst also an, dass dies von einer Vorfahrin geschrieben wurde.«
»Es ist nicht bloß eine Vermutung. Ich habe Ahnenforschung betrieben und die Abstammung genauestens überprüft. Ihr Name war Constance, und ihre jüngste Tochter, Hester, heiratete James MacAllister am fünfzehnten Mai siebzehnhundertsiebenundfünfzig. Ihr erstes Kind, ein Sohn, Sebastian Edward MacAllister, wurde auf Three Sisters Island geboren. Er kämpfte im Revolutionskrieg. Heiratete, hatte Kinder, ließ sich in New York nieder. Die Abstammungslinie lässt sich bis zu meiner Mutter verfolgen und zu mir.«
»Willst du damit etwa sagen, dass du ein Nachkomme von …«
»Ich habe alle Dokumente, um das zu belegen. Heiratsurkunden,
Geburtsurkunden. Man könnte sagen, dass wir sehr entfernt miteinander verwandt sind.«
Sie starrte ihn schweigend an, dann wandte sie sich ab, um ins Feuer zu starren. »Warum hast du das nicht gleich gesagt, als du hierher auf die Insel gekommen bist?«
»Okay, das ist ein bisschen heikel.« Mac wünschte, sie würde sich wieder aufs Sofa setzen und sich wieder an ihn kuscheln. Aber er glaubte nicht, dass das passieren würde, bevor sie diese schwierige Sache hinter sich gebracht hatten. »Ich dachte, ich müsste diese Information vielleicht als Anreiz benutzen, als etwas, womit ich handeln könnte, um zu den Informationen zu kommen, die ich haben wollte.«
»Dein Trumpf im Ärmel«, murmelte sie.
»Ja. Ich dachte mir, wenn Mia Hindernisse errichtete, würde diese Information ein gutes Mittel sein, um einige davon niederzureißen. Aber das hat sie nicht getan, und mir ist allmählich sehr unbehaglich bei dem Gedanken geworden, dass ich euch etwas derart Wichtiges vorenthalte. Ich wollte es ihr heute Abend sagen. Aber dir musste ich es als Erster sagen.«
»Warum?«
»Weil du mir etwas bedeutest. Ich merke, dass du sauer bist, aber …«
Ripley schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich.« Verstört, dachte sie, irgendwie aus dem Gleis geworfen, aber nicht wütend. »Ich hätte wahrscheinlich das Gleiche getan, um zu bekommen, was ich wollte.«
»Ich wusste ja nicht, dass du hier sein würdest.« Als Ripley sich wieder zu ihm umwandte, blickte er sie ruhig und unverwandt an. »Du weißt schon, was ich meine. Ich wusste nicht, dass wir beide auf diese Art in die Sache verwickelt sein würden. Ich arbeite auf einem Gebiet, das die meisten Leute als unlogisch bezeichnen. Daher ist es unbedingt erforderlich, logisch an die Sache heranzugehen. Aber darunter, auf einer rein persönlichen Ebene, hat es mich schon
mein ganzes Leben lang zu diesem Ort hingezogen, ohne dass ich gewusst hätte, wohin es mich eigentlich
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