Im Licht der Sterne: Roman (German Edition)
Mitnehmen.«
»Auf dieser Insel gab es seit Jahrhunderten einen Todd, und Zachariah ist einer der Besten aus der ganzen Sippschaft. Sehr nett«, betonte Mia. »Fürsorglich und anständig, ohne einem auf die Nerven zu fallen.«
»Ist er Ihr …« Das Wort Freund schien irgendwie nicht zu einer Frau wie Mia zu passen. »Haben Sie und er eine Beziehung?«
»Eine Liebesbeziehung? Nein.« Mia ließ ihr tiefes dunkles Lachen ertönen und reichte Nell die Flasche zurück. »Er ist rundherum zu gut für mich. Obgleich ich in ihn verknallt war, als ich fünfzehn oder sechzehn war. Immerhin ist er ein sehr gelungenes Exemplar seiner Gattung. Das muss Ihnen auch aufgefallen sein.«
»Ich bin nicht an Männern interessiert.«
»Aha. Laufen Sie davor weg? Vor einem Mann?« Als Nell nicht antwortete, glitt Mia auf ihre Füße. »Nun gut, wenn und wann Sie darüber sprechen möchten: Ich bin eine gute Zuhörerin und kann versprechen, mir Ihre Geschichte unvoreingenommen anzuhören – und mit viel Sympathie.«
»Ich weiß alles, was Sie für mich getan haben, sehr zu schätzen, Mia. Ich möchte einfach nur meinen Job machen.«
»Verständlich.« Die Glocke klingelte und kündigte an, dass jemand den Laden betreten hatte. »Nein, Sie haben Mittagspause«, erinnerte Mia sie, bevor Nell aus der Küche eilen konnte. »Ich übernehme den Tresen für eine Weile, und gucken Sie nicht so traurig, kleine Schwester. Sie sind niemand anderem als sich selbst verantwortlich.«
Merkwürdig besänftigt blieb Nell in der Küche stehen. Sie konnte Mias Lachen hören, ihre sanfte, tiefe Stimme, als sie mit den Kunden sprach. Im Café lief Flötenmusik und irgendwas anderes Einschmeichelndes. Sie könnte, wenn sie die Augen schließen würde, sich gut vorstellen, wie sie hier morgen, übermorgen und auch noch nächstes Jahr sein würde. Versorgt und umsorgt. Produktiv und glücklich.
Es gab keinen Grund, traurig zu sein oder Angst zu haben, keinen Grund, sich wegen des Sheriffs Gedanken zu machen. Er hatte keinen Anlass, auf sie aufmerksam zu werden, ihren Hintergrund zu recherchieren. Und wenn er es täte, was könnte er finden? Sie war sehr vorsichtig gewesen. Sehr sorgfältig.
Nein, sie würde nicht länger weglaufen. Sie war weggelaufen. Und nun wollte sie bleiben.
Sie trank ihr Wasser aus und verließ die Küche, als sich Mia gerade umdrehte. Die Kirchturmuhr begann, zwölfmal zu läuten, langsame, tief hallende Töne.
Der Boden unter ihr schien zu beben, und das Licht strahlte sehr hell. Die Musik schwoll an in ihrem Kopf, als wären es Tausende von Harfen gleichzeitig. Und der Wind – sie
könnte beschwören, dass ein heißer Windstoß ihr Gesicht gestreift und ihr Haar gelüpft hätte. Sie konnte Kerzenwachs und frische Luft riechen.
Die Welt erschauerte und hielt für einen kurzen Moment den Atem an, völlig bewegungslos, als hätte sie sich nie bewegt. Sie schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen, und ertappte sich dabei, wie sie in Mias tiefe graue Augen starrte.
»Was war das? Ein Erdbeben?« Schon, als sie es aussprach, war Nell klar, dass niemand anderes im Café irgendwas bemerkt hatte. Die Leute aßen, saßen herum, unterhielten sich, tranken. »Ich dachte … ich fühlte …«
»Ja, ich weiß.« Obgleich Mias Stimme leise war, hatte sie einen Unterton, den Nell bisher noch nicht gehört hatte. »Nun, das erklärt es.«
»Erklärt was?« Aufgeregt griff Nell nach Mias Handgelenk. Und fühlte, wie eine Art Energie durch ihren Arm wanderte.
»Wir werden später darüber sprechen. Später. Jetzt legt die Mittagsfähre an.« Und Ripley ist wieder zurück, dachte sie. Sie, Die Drei, waren nun alle auf der Insel. »Wir kriegen gleich viel zu tun. Halten Sie Ihre Suppe bereit, Nell«, empfahl Mia sanft und entfernte sich.
Mia war nicht häufig zu überraschen, und sie suchte auch keine Anlässe dafür. Die Kraft, die sie bei Nell gefühlt und gerade erlebt hatte, war viel intensiver und vertrauter, als sie erwartet hatte. Das ärgerte sie. Sie hätte vorbereitet sein müssen. Sie wusste am allerbesten, glaubte am festesten daran und verstand, welche Wendungen das Schicksal vor vielen, vielen Jahren genommen hatte. Und zu welchen Verwicklungen es heute führen könnte.
Allerdings, an das Schicksal zu glauben bedeutete nicht gleichzeitig, dass eine Frau es einfach annehmen müsste. Es
konnte und musste etwas unternommen werden. Vorher aber musste sie darüber nachdenken, sorgfältig.
Was in der
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