Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
die Augen und hob die Arme. Sie hatte jetzt nur noch wenige Stunden, um ihre Kräfte zu sammeln.
Sie erhob die Stimme.
Viele Meter unterhalb gab sich Cal, vor Anstrengung keuchend, geschlagen. Was, um alles in der Welt, machte er da?, fragte er sich. Da schlug er mit dem Kopf gegen eine magische Wand, um zu einer Hexe zu gelangen!
Wie konnte es sein, dass sein Leben ein Märchen geworden war?
Ob nun Märchen oder nicht, eines war jedenfalls eine Tatsache. Widersprich einer Frau, und sie schmollt.
»Na gut, dann schmoll eben weiter!«, brüllte er. »Wenn du wieder bereit bist, dich wie ein zivilisierter Mensch zu unterhalten, so lass es mich wissen.« In finsterer Stimmung kehrte er zum Haus zurück. Er brauchte etwas Abstand, sagte er sich. Er würde sich für eine Weile in seine Arbeit versenken, bis sie sich beide wieder beruhigt hätten.
Ein Tag, überlegte er aufgebracht. Er hatte nur einen Tag gehabt, und da erwartete sie, dass er sein ganzes Leben umkrempelte.
Seine unsterbliche Liebe gelobte. Zur Hölle damit. Er würde sich von ihr zu nichts drängen lassen, wozu er nicht bereit war. Sollte sie ihm mit ihrem tausendjährigen Bann doch den Rücken herunterrutschen. Er war ein normales menschliches Wesen, und normale menschliche Wesen ließen sich nicht von Hexen veralbern und unter Druck setzen.
Er schob die Schlafzimmertür auf, griff nach seiner Kamera. Darunter befand sich, ordentlich zusammengelegt, ein grauer Pullover. Verdutzt zog er die Hand zurück.
»Der war vor einer Stunde noch nicht da«, murmelte er. »Verdammt, der war nicht da.«
Vorsichtig befühlte er das Material. Weich wie eine Wolke, grau wie ein stürmischer Himmel. Vage entsann er sich der Geschichte über einen Umhang und einem Schutzzauber. Womöglich war dieser Pullover Brynas modernes Äquivalent dazu.
Mit einem Achselzucken schälte er sich aus seinem Hemd und probierte den Pullover an. Er passte, als wäre er für ihn gemacht. Und das war er natürlich auch, wurde ihm bewusst. Sie hatte die Wolle gesponnen und gestrickt. Sie hatte seine Armlänge gekannt, seinen Brustumfang.
Sie hatte alles über ihn gewusst.
Er war versucht, sich den Pullover wieder vom Leib zu reißen, und in die Ecke zu schmeißen. Es ärgerte ihn, dass sein Leben und sein Geist für sie offen lagen, während ihr Inneres vor ihm verschlossen blieb.
Doch als er Anstalten machte, den Pullover auszuziehen, glaubte er eine Stimme zu hören, ein Wispern.
Ein Geschenk. Nur ein Geschenk.
Er hob den Kopf, blickte in den Spiegel. Sein Gesicht war unrasiert, sein Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, seine Augen reflektierten die Sturmwolkenfarbe des Pullovers.
»Zur Hölle damit«, murmelte er, schnappte sich Kamera und Fototasche und verließ das Haus.
Eine Stunde lang streifte er durch die Hügel, verknipste Filmrolle um Filmrolle. Spottdrosseln sangen, als er über eine Steinmauer auf die Felder kletterte, wo Kühe an Grashalmen, grün wie Smaragde, zupften. Er sah Bauern auf Traktoren, die ihr Land unter einem wolkenverhangenen Himmel pflügten. Er sah bunte Wäsche, die auf der Leine flatterte, und Katzen, die in Türeingängen im Sonnenschein dösten.
Er spazierte eine schmale Schotterstraße, umsäumt von dichten hohen Hecken hinunter. Durch kleine Zwischenräume erspähte er üppige Gärten mit bunten Blumen in schmerzhaft schönen Farben. Eine Frau mit einem Strohhut auf den roten Haaren kniete neben einem Blumenbeet, zupfte Unkraut und sang von einem Soldaten, der in den Krieg gezogen war. Sie lächelte Cal zu und hob winkend die Hand, als er weiterging.
Er wanderte an einem kleinen Wald entlang, wo ein geschäftiges Bächlein plätscherte und die zarten Blätter der Bäume sich entrollten, um den Sommer willkommen zu heißen. Die Sonne stand hoch am Himmel, die Schatten waren kurz. Allmählich fühlte er sich innerlich wieder gefestigt. Er fand es an der Zeit zurückzukehren, um zu sehen, ob Bryna sich beruhigt hatte – und vielleicht die Dunkelkammer zu testen, die sie ihm eingerichtet hatte.
Aus den Augenwinkeln erhaschte er ein weißes Aufblitzen. Er drehte sich um und hielt von Ehrfurcht ergriffen den Atem an. Im grünen Schatten des Waldrands stand ein riesiger weißer Hirsch, seine blauen Augen blickten stolz und weise.
Langsam und konzentriert hob Cal seine Kamera, und stieß dann einen leisen Fluch aus, als der Hirsch seinen mächtigen Schädel in die Höhe reckte, sich verblüffend schnell und anmutig umdrehte und mit einem Satz
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