Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
wiederholte Cal, und als er seinen Stuhl zurückschob, sah er in den Augen seines Vaters kalte Wut aufblitzen.
»Setz dich.«
»Zur Hölle mit dir.«
»Calin! Sprich mit deinem Vater nicht in diesem Ton.«
Die Stimme seiner Mutter war schrill – der Beuteschrei eines Adlers. Gellte durch seinen Kopf. »Ihr seid nicht real.« Plötzlich erfüllte ihn eine tiefe Ruhe, eine tödliche Ruhe. »Ich stoße euch von mir.«
Er rannte eine schmale Straße hinunter, zu beiden Seiten von hohen, gierig wuchernden Hecken gesäumt. Er war außer Atem, sein Herz hämmerte. Sein Blick war auf die eingestürzten Mauern der Burg gerichtet, hoch oben auf den Klippen – und zu weit entfernt.
»Bryna.«
»Sie wartet auf dich.« Die Frau mit dem Strohhut auf den roten Haaren blickte vom Unkrautjäten auf und lächelte traurig. »Das hat sie schon immer getan und wird es immer tun.«
Er hatte heftiges Seitenstechen. Nach Luft schnappend, presste er die Hand auf die Stelle. »Wer sind Sie?«
»Sie hat eine Mutter, die sie liebt, einen Vater, der um sie
Angst hat. Glaubst du, dass jene, die Zauberkraft besitzen, einer Familie weniger bedürfen als du? Weniger zerbrechliche Herzen haben? Weniger Wertschätzung brauchen?«
Mit einem müden Seufzer richtete sie sich auf, ging auf ihn zu und trat in die Lücke der Hecke. Ihre Augen waren grün, stellte er fest, und von Kummer erfüllt, doch der Mund mit dem ernsten Lächeln war eindeutig Brynas.
»Du bezweifelst, was sie ist – und was sie ist, hindert dich daran, ihr dein Herz ohne Vorbehalte zu schenken. Da sie dies weiß und dich liebt, hat sie dich aus der Gefahr geschickt und wird sich der Nacht allein stellen.«
»Mich wohin geschickt? Wie? Wer sind Sie?«
»Sie ist mein Kind«, sagte die Frau, »und ich bin hilflos.« Ihr Lächeln vertiefte sich ein wenig. »Nahezu hilflos. Sieh zu der Lichtung hinüber, Calin Farrell, und nimm, was dir geschenkt wurde. Meine Tochter wartet. Ohne dich wird sie in dieser Nacht sterben.«
»Sterben?« Sein Bauch verkrampfte sich vor Entsetzen. »Bin ich zu spät?«
Sie schüttelte nur den Kopf und löste sich in Luft auf.
Er erwachte schweißgebadet und der Länge nach ausgestreckt am kühlen, feuchten Grasufer des Baches. Am schwarzen Himmel stieg gerade der Mond auf.
»Nein.« Er rappelte sich hoch, fand den Pullover zusammengeknüllt in seiner Hand. »Ich werde nicht zu spät kommen. Das kann nicht sein.« Noch während er losrannte, zog er sich den Pullover über.
Jetzt rauschten die Bäume, angepeitscht durch einen Wind, der aus dem Nirgendwo kam und wie ein Wahnsinniger heulte. Sie schlugen nach ihm, verflochten sich
wie ein Netz ineinander, um ihm den Weg mit knorrigen, Dornen bewehrten Ästen zu versperren. Er kämpfte sich voran, ohne auf die scharfen Dornenklauen zu achten, die sich durch seine Kleidung hindurchbohrten.
Über ihm zerriss ein Blitz wie ein Schwert den Himmel und dämpfte den Schein des vollen weißen Mondes.
Alasdair. Hass kochte in ihm auf, so heiß wie die Liebe, die er gerade erst entdeckt hatte. Alasdair würde nicht siegen, und wenn dies sein Leben kosten sollte.
»Bryna.« Er wandte das Gesicht zum Himmel empor, und im selben Moment prasselte wilder, wütender Regen auf ihn nieder. »Warte auf mich. Ich liebe dich.«
Der Hirsch stand vor ihm, weiß wie der Mond, seinen geduldigen Blick auf ihn gerichtet. Als das Tier sich umdrehte und mit einem Satz in der Dunkelheit verschwand, stürzte Cal ihm hinterher. Nur auf den Instinkt vertrauend, tauchte er in die Nacht ein, um die Spur zu verfolgen. Der Boden bebte unter seinen Füßen, Dornen zerrissen seine Kleidung, doch er stürmte weiter, um dieses weiße Aufblitzen nicht aus den Augen zu verlieren.
Dann war es verschwunden. Und während er blutend auf eine Lichtung fiel, kämpfte sich das Mondlicht durch die Wolken hindurch und fiel auf ein schwarzes Pferd.
Ohne zu zögern, akzeptierte Calin das Unmögliche. Ergriff die Zügel, schwang sich in den Sattel und spannte die Knie an, als der Hengst sich aufbäumte und einen gellenden Schlachtruf ausstieß. Auf seinem wilden Ritt hörte er das Knattern eines wehenden Umhangs und fühlte den Griff eines Schwertes in seiner Hand.
Neun
Die Burg der Geheimnisse war von tausend Fackeln erhellt. Die Mauern schimmerten silbern und reckten sich dem Mond entgegen. Der Steinboden der großen Halle war glatt wie Marmor. Im Zentrum des Schutzkreises, von den Alten gezogen, stand Bryna in einer weißen Robe, ihr
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